Völkermord gelungen, Existenz gefährdet?
Im Januar war das Ausmaß des israelischen Amoklaufes in Gaza jedem sichtbar. Aber deutsche Politiker erklären sinngemäß, wenn man die israelischen Angriffe auf Gaza oder die Apartheid kritisiert, „man dürfe nicht das Existenzrecht Israels“ leugnen, während sie implizit das Lebensrecht von Palästinensern leugnen und behaupten Kritiker wären „Terroristen-Apologeten“. Derweil die israelische Armee etwas begeht, was als Völkermord definiert werden kann, einen Terrorakt, den so schnell keine Terrororganisation hinbekommt. Einen Völkermord, der aber angeblich keiner ist, aber eben nur nach den „wertebasierten Regeln“ des Westens.
Die angeblichen „Freunde“ Israels werden feststellen müssen, dass ihr Schützling sich durch seine Taten zu einem Paria macht und damit seine Existenz gefährdet. Nicht die Existenz der Menschen, sondern die staatliche Organisation des Apartheid-Systems delegitimiert sich selbst. Denn dieses mörderische Regime ist nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Und selbst einige ehemalige Verteidiger der zionistischen Idee wenden sich schaudernd ab. Der Versuch eines „rassisch“ reinen, nationalistischen Kolonialstaates ist nun in der Blutorgie von Gaza gescheitert. Lassen Sie uns die Gründe beleuchten und überlegen, was noch passieren könnte.
Es ist immer gut, wenn man einen Pulitzer-Preisträger zur Hand hat, der schon aufschrieb, was man eigentlich selbst schreiben wollte. Das gibt dann der Aussage ein größeres Gewicht. Chris Hedges also erklärte[1], dass Israel triumphieren werde, wenn sein völkermörderischer Feldzug im Gazastreifen, und was die wenigsten mitbekommen, auch im Westjordanland, beendet ist. Seine mörderischen Amokläufe und völkermörderische Gewalt seien geeignet, die Palästinenser auszurotten oder ethnisch zu säubern. Der Traum von einem Staat der Zionisten, ausschließlich für Juden, in dem alle verbleibenden Palästinenser ihrer Grundrechte beraubt werden, wird sich zunächst erfüllen. „Sie werden in ihrem blutigen Sieg schwelgen.“ Israel werde seine Kriegsverbrecher feiern, man kann hinzufügen, ähnlich wie in der Vergangenheit. Der Völkermord wird aus dem öffentlichen Bewusstsein Israels getilgt, meint Hedges und werde in Israels riesiges schwarzes Loch der historischen Amnesie gestoßen. Diejenigen, die in Israel ein Gewissen haben, werden zum Schweigen gebracht und verfolgt werden.
„Schwelgen im blutigen Völkermord“
Aber, so Hedges weiter, wenn Israel seine Dezimierung des Gazastreifens erreicht hat – Israel spricht von einem monatelangen Krieg – wird es sein eigenes „Todesurteil“ unterschrieben haben. Seine Fassade der Zivilität, sein angeblich gepriesener Respekt für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, seine mythische Geschichte vom mutigen israelischen Militär und der wundersamen Geburt der jüdischen Nation werden in Schutt und Asche liegen. Israels soziales Kapital werde aufgebraucht sein. Es werde als ein hässliches, repressives, hasserfülltes Apartheidregime entlarvt sein, von dem sich die jüngeren Generationen amerikanischer Juden abwenden werden. Der Schutzherr Israels, die Vereinigten Staaten, werde sich mit der neuen Generation, die an die Macht kommt, von Israel distanzieren, erklärt der Autor. Die populäre Unterstützung Israels, die in den USA bereits erodiert sei, wird nur noch von Amerikas christlich geprägten Faschisten kommen, die Israels Herrschaft über uraltes biblisches Land als Vorbote der Wiederkunft, und in seiner Unterwerfung der Araber, einen verwandten Rassismus und eine weiße Vorherrschaft sehen.
„Das Blut und das Leid der Palästinenser – im Gazastreifen wurden zehnmal so viele Kinder getötet wie im zweijährigen Krieg in der Ukraine – werden den Weg in die Vergessenheit Israels ebnen. Die Zehn-, vielleicht Hunderttausende von Geistern werden ihre Rache haben. Israel wird zum Synonym für seine Opfer werden, so wie die Türken zum Synonym für die Armenier, die Deutschen für die Namibier und später die Juden und die Serben für die Bosniaken. Das kulturelle, künstlerische, journalistische und intellektuelle Leben Israels wird ausgelöscht werden. Israel wird eine stagnierende Nation sein, in der die religiösen Fanatiker, Bigotten und jüdischen Extremisten, die die Macht ergriffen haben, den öffentlichen Diskurs beherrschen werden. Es wird seine Verbündeten unter anderen despotischen Regimen finden. Israels abscheuliche rassische und religiöse Vorherrschaft wird sein bestimmendes Merkmal sein, weshalb die rückschrittlichsten weißen Vordenker in den USA und Europa, darunter Philosemiten wie John Hagee, Paul Gosar und Marjorie Taylor Greene, Israel mit Inbrunst unterstützen. Der gepriesene Kampf gegen den Antisemitismus ist eine kaum verhüllte Feier der White Power.“[2]
Aber was wird die Folge sein? Hedge meint, dass Despotien noch lange nach ihrem Fälligkeitsdatum existieren können. Aber sie seien unheilbar. Man müsse kein Bibelwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass Israels Gier nach Blutströmen den Grundwerten des Judentums zuwiderlaufe. Die zynische Bewaffnung mit dem Holocaust, einschließlich der Brandmarkung der Palästinenser als Nazis, sei wenig wirksam, wenn man einen live gestreamten Völkermord an 2,3 Millionen Menschen durchführt, die in einem „concentration camp“ gefangen seien. Und Hedges meint nicht die Konzentrationslager der Nazis, sondern die viel älteren der kolonialen Mächte, allen voran Großbritanniens und Deutschlands in Namibia.
Zurück zu Hedge. Er sagt, dass, wenn Mythen implodieren, wenn sie als Lügen entlarvt werden, dann breche ein zentrales Fundament der staatlichen Macht zusammen. Er habe 1989 während der Revolutionen in Ostdeutschland, der Tschechoslowakei und Rumänien über den Tod der kommunistischen Mystik berichtet. Die Polizei und das Militär beschlossen, dass es nichts mehr zu verteidigen gab. Israels Verfall wird die gleiche Trägheit und Apathie hervorrufen. Es werde nicht in der Lage sein, einheimische Kollaborateure wie Mahmoud Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde – die von den meisten Palästinensern verachtet wird – zu rekrutieren, um die Befehle der Kolonisatoren auszuführen. Der Historiker Ronald Robinson nenne die Unfähigkeit des britischen Empire, einheimische Verbündete zu rekrutieren, als den Punkt, an dem die Kollaboration in Nicht-Kooperation umschlug – ein entscheidender Moment für den Beginn der Dekolonisierung.
Alles, was Israel dann noch bleibe, sei die Eskalation der Gewalt, einschließlich Folter, die den Niedergang dann noch beschleunigen. Diese umfassende Gewalt funktioniere kurzfristig, wie im Krieg der Franzosen in Algerien, im Schmutzigen Krieg der argentinischen Militärdiktatur und während des britischen Konflikts in Nordirland. Aber auf lange Sicht sei sie selbstmörderisch.
“Man könnte sagen, dass die Schlacht von Algier durch den Einsatz von Folter gewonnen wurde“, bemerkte der britische Historiker Alistair Horne, “aber der Krieg, der algerische Krieg, war verloren.”[3]
Der Völkermord in Gaza habe Hamas-Kämpfer in der muslimischen Welt und im globalen Süden zu Helden gemacht. Israel mag die Hamas-Führung auslöschen. Aber die Ermordung zahlreicher palästinensischer Führungspersönlichkeiten in der Vergangenheit – und in der Gegenwart – hat kaum dazu beigetragen, den Widerstand abzuschwächen. Die Belagerung und der Völkermord im Gazastreifen haben eine neue Generation von zutiefst traumatisierten und wütenden jungen Männern und Frauen hervorgebracht, deren Familien getötet und deren Gemeinschaften ausgelöscht wurden. Sie seien bereit, an die Stelle der ermordeten Anführer zu treten. Israel habe „die Aktien seines Gegners in die Stratosphäre geschickt“.
Vor dem 7. Oktober sei Israel mit sich selbst im Krieg gewesen. Die Israelis protestierten, um die Abschaffung der Unabhängigkeit der Justiz durch Premierminister Benjamin Netanjahu zu verhindern. Die religiösen Fanatiker und nationalistische Fanatiker, die derzeit an der Macht sind, hatten einen entschlossenen Angriff auf den israelischen Säkularismus gestartet.
Die Einheit Israels seit den Anschlägen sei prekär, meint Hedges. Es sei eine negative Einheit. Sie werde durch Hass zusammengehalten. Und selbst dieser Hass reiche nicht aus, um die Demonstranten davon abzuhalten, die Preisgabe der israelischen Geiseln im Gazastreifen durch die Regierung zu verurteilen.
Aber Hass sei ein gefährliches politisches Gut, erklärt der Autor. Sobald sie mit einem Feind fertig sei, machen sich diejenigen, die den Hass schüren, auf die Suche nach einem anderen. Wenn die palästinensischen “menschlichen Tiere” ausgerottet oder unterworfen sein werden, würden sie durch jüdische Abtrünnige und Verräter ersetzt. Die dämonisierte Gruppe kann niemals erlöst oder geheilt werden. Eine Politik des Hasses schaffe eine permanente Instabilität, die von denen ausgenutzt wird, die die Zerstörung der Zivilgesellschaft anstreben.
Irgendwie erinnert mich diese Aussage an die deutsche Politik spätestens seit der Corona-Krise. Zuerst waren es die „Ungeimpften“, gegen die sich der Hass richtete, dann die „Putin-Apologeten“, welche die Unterstützung der Ukraine kritisierten, nun sind es die „Terroristen-Freunde“, welche Israel davon abhalten wollen, „sich zu verteidigen“.
Israel sei am 7. Oktober schon weit auf diesem Weg gewesen, als es eine Reihe diskriminierender Gesetze gegen Nicht-Juden verkündete, die den rassistischen Nürnberger Gesetzen ähneln, mit denen die Juden in Nazi-Deutschland entrechtet wurden. Das Gesetz über die Akzeptanz von Gemeinschaften erlaube es z.B. ausschließlich jüdischen Siedlungen, Bewerber für einen Wohnsitz auf der Grundlage der “Eignung für die Grundeinstellung der Gemeinschaft” auszuschließen.
Viele der bestausgebildeten und jungen Israelis haben das Land in Richtung Kanada, Australien und Großbritannien verlassen, berichtet Hedges, und bis zu einer Million von ihnen sind in die Vereinigten Staaten gezogen. Auch nach Deutschland sind in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts etwa 20.000 Israelis eingewandert. Seit dem 7. Oktober haben rund 470.000 Israelis das Land verlassen. Innerhalb Israels, so erklärt Hedge, werden Menschenrechtsaktivisten, Intellektuelle und Journalisten – israelische und palästinensische – in von der Regierung geförderten Hetzkampagnen als Verräter angegriffen, unter staatliche Überwachung gestellt und willkürlich verhaftet. Das israelische Bildungssystem ist eine Indoktrinationsmaschine für das Militär. Was ich bereits vor Jahren versuchte in Videos bekannt zu machen[4]. Was aber auch die Menschenrechtsorganisation B’Tselem seit Jahren immer wieder mahnend erklärt.
Der israelische Gelehrte Yeshayahu Leibowitz, so Hedges weiter, warnte, dass Israel, wenn es nicht Kirche und Staat trenne und die Besetzung der Palästinenser beende, ein korruptes Rabbinat hervorbringen würde, welches das Judentum zu einer faschistischen Sekte verzerren würde.
“Israel”, sagte er, “hätte es nicht verdient zu existieren, und es wird sich nicht lohnen, es zu erhalten.”[5]
Nach zwei Jahrzehnten katastrophaler Kriege im Nahen Osten und dem Anschlag auf das Kapitol am 6. Januar sei das globale Ansehen der USA ebenso kontaminiert wie das des israelischen Verbündeten. In ihrem Eifer, Israel bedingungslos zu unterstützen und die mächtige Israel-Lobby zu beschwichtigen, habe die Biden-Regierung das Überprüfungsverfahren des Kongresses durch das Außenministerium umgangen, um den Transfer von 14.000 Schuss Panzermunition nach Israel zu genehmigen. Außenminister Antony Blinken argumentierte, dass “ein Notfall vorliegt, der den sofortigen Verkauf erfordert“. Gleichzeitig forderte er Israel auf zynische Weise auf, die Zahl der zivilen Opfer zu minimieren.
Israel habe aber gar nicht die Absicht, die Zahl der zivilen Opfer zu verringern. Es habe bereits 18.800 Palästinenser getötet, der Artikel erschien am 19. Dezember und die Zahlen sind danach weiter drastisch gewachsen. Nach Angaben der Vereinten Nationen hungerte schon damals die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens, was sich ebenfalls weiter verschärft hatte. Die meisten palästinensischen Einrichtungen und Dienstleistungen, die das Leben aufrechterhalten – Krankenhäuser, Wasseraufbereitungsanlagen, Stromnetze, Abwassersysteme, Wohnungen, Schulen, Regierungsgebäude, Kulturzentren, Telekommunikationssysteme, Moscheen, Kirchen, UN-Lebensmittelverteilungsstellen – wurden zerstört. Israel habe mindestens 80 palästinensische Journalisten und Dutzende ihrer Familienangehörigen sowie über 130 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und ihre Familienangehörigen ermordet. Die zivilen Opfer seien der springende Punkt. Hedges erklärt deutlich:
„Dies ist kein Krieg gegen die Hamas. Es ist ein Krieg gegen die Palästinenser. Das Ziel ist es, 2,3 Millionen Palästinenser zu töten oder aus dem Gazastreifen zu vertreiben.“[6]
Dann weist auch Hedges noch einmal auf die Umstände der Erschießung von israelischen Geiseln durch das israelische Militär in Gaza hin, und zitiert dann den pensionierten israelischen Generalmajor Giora Eiland, der früher den israelischen Nationalen Sicherheitsrat leitete, der in der Tageszeitung Yedioth Ahronoth äußerte:
“Der Staat Israel hat keine andere Wahl, als den Gazastreifen in einen Ort zu verwandeln, an dem es vorübergehend oder dauerhaft unmöglich ist, zu leben… Die Schaffung einer schweren humanitären Krise im Gazastreifen ist ein notwendiges Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.“ [7]
„Gaza wird ein Ort werden, an dem kein Mensch mehr leben kann”,
habe er erklärt. Generalmajor Ghassan Alian verdeutlichte, dass es in Gaza “keinen Strom und kein Wasser geben wird, sondern nur Zerstörung. Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen“.
Siedlerkoloniale Staaten
Siedlerkoloniale Staaten, die überdauern, einschließlich der Vereinigten Staaten, vernichten durch Krankheiten und Gewalt fast die gesamte einheimische Bevölkerung, erinnert Hedges. Seuchen aus der Alten Welt, die von den Kolonisatoren nach Amerika gebracht wurden, wie z. B. die Pocken, hatten innerhalb von etwa 100 Jahren schätzungsweise 56 Millionen Ureinwohner in Süd-, Mittel- und Nordamerika getötet. Um 1600 sei weniger als ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung übrig geblieben. Israel könne nicht in diesem Umfang töten, da 5,5 Millionen Palästinenser unter der Besatzung leben aber weitere 9 Millionen in der Diaspora.
Die Präsidentschaft Bidens, die ironischerweise ihr eigenes politisches Todesurteil unterschrieben haben könnte, sei mit Israels Völkermord verknüpft. Sie werde versuchen, sich rhetorisch zu distanzieren, aber gleichzeitig werde sie die von Israel geforderten Waffen in Milliardenhöhe bereitstellen, um “den Job zu beenden“. Sie ist ein vollwertiger Partner in Israels Völkermordprojekt.
An dieser Stelle muss man hinzufügen, dass auch Deutschland seit dem 7. Oktober seine Munitions- und Waffenexporte um tausend Prozent erhöht hatte, damit „der Job beendet werden kann“.
Israel, so Hedges, sei nun ein Pariastaat. Dies sei am 12. Dezember öffentlich zur Schau gestellt worden, als 153 Mitgliedsstaaten in der UN-Generalversammlung für einen Waffenstillstand stimmten, wobei nur 10 – darunter die USA und Israel – dagegen waren und 23 sich enthielten. Israels Kampagne der verbrannten Erde in Gaza bedeute, dass es keinen Frieden geben wird. Es werde keine Zweistaatenlösung geben. Apartheid und Völkermord werden Israel bestimmen. Damit ist ein langer, langer Konflikt vorprogrammiert, den der jüdische Staat letztlich nicht gewinnen kann.
Verbrechen Israels eskalieren
Aber nach dem Artikel von Hedges wurde es noch schlimmer. Die UNO veröffentlichte am 20. Dezember folgenden Bericht:
„OHCHR OPT hat beunruhigende Informationen erhalten, wonach die israelischen Streitkräfte (IDF) mindestens 11 unbewaffnete palästinensische Männer vor den Augen ihrer Familienangehörigen im Stadtteil Al Remal in Gaza-Stadt erschossen haben sollen, was ein mögliches Kriegsverbrechen vermuten lässt. Dies folgt auf frühere Anschuldigungen, wonach die israelischen Streitkräfte gezielt Zivilisten getötet haben sollen. (…)
Am 19. Dezember 2023, zwischen 20:00 und 23:00 Uhr, umstellten und stürmten die IDF Berichten zufolge das Al Awda-Gebäude, auch bekannt als “Annan-Gebäude”, im Stadtteil Al Remal in Gaza-Stadt, in dem neben der Familie Annan drei weitere Familien untergebracht waren. Nach Zeugenaussagen, die von Medien und Euro-Med Human Rights Monitor verbreitet wurden, sollen die IDF, während sie das Gebäude und die dort untergebrachte Zivilbevölkerung kontrollierten, die Männer von den Frauen und Kindern getrennt und dann mindestens 11 der Männer, die meisten im Alter von Ende 20 und Anfang 30, vor den Augen ihrer Familienmitglieder erschossen haben. Anschließend sollen die IDF die Frauen und Kinder in einen Raum beordert und entweder auf sie geschossen oder eine Granate in den Raum geworfen haben, wobei einige von ihnen, darunter ein Säugling und ein Kind, schwer verletzt worden sein sollen. Das OHCHR hat die Tötungen im Al Awdabuilding bestätigt, auch wenn die Einzelheiten und Umstände der Tötungen noch überprüft werden müssen. Die IDF hat keine Informationen über den Vorfall veröffentlicht.“[8]
Ein großer Krieg ist immer noch möglich
Vielleicht war Hedges zu voreilig. Eine Eskalation des Massakers in Gaza zu einem Krieg war immer noch möglich, je mehr Gräueltaten der israelischen Armee bekannt werden, desto wahrscheinlicher ist, dass die Zurückhaltung vieler Nachbarn gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht mehr zu rechtfertigen sein wird. Nachdem der Jemen erklärte, eine Blockade gegen Israel zu verhängen, wie Israel seit über einem Jahrzehnt über Gaza, fuhr eine Armada von kolonialen Kanonenbooten vor der Küste des Jemen vor. Aber kurz darauf waren die ersten Schiffe auchschon wieder zurückgerufen worden.
Südafrikas Herausforderung des IStGH
Die Tatsache, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zwar einen Haftbefehl für Putin ausstellte, als er Kinder aus der Kriegszone in Sicherheit brachte, aber beim Völkermord in Gaza schwieg, entlarvt nun dieses angebliche Weltgericht ganz offen als ein Werkzeug westlicher Dominanzpolitik.
Es gibt aber zwei, so genannte „Weltgerichte“.
1. Den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag, in Englisch ICC. Er basiert auf Verträgen, welche Länder abgeschlossen hatten. Leider hatte sich herausgestellt, dass die wichtigsten Länder, welche die meisten Kriegsverbrechen begangen haben, gar nicht Mitglied in dem erlauchten Kreis werden wollten, obwohl sie selbst die Gründung gefordert und gefördert hatten. Insbesondere die USA hatten durch einflussreiche Kreise und ein Gesetz angedroht, einen Angriff auf Den Haag zu starten, sollten US-Amerikaner vor dem Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Mit anderen Worten: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte sich in der Vergangenheit im Wesentlichen als ein Werkzeug ehemaliger Kolonialstaaten herausgestellt, um nach einem Krieg die unterlegene Partei aburteilen zu können und damit den eigenen Krieg zu rechtfertigen.
Viele Länder haben das eingesehen. Jedoch drohen westliche Länder mit einem Wirtschaftskrieg gegen solche Länder, welche aus dem Kreis der Vertragsstaaten aussteigen sollten. Im Fall der Besatzung und Kriegsverbrechen Israels, wie z.B. die gezielte Verkrüppelung und Erschießung von unbewaffneten Demonstranten am Gaza-Zaun, sind Forderungen nach einer Untersuchung durch das Gericht regelmäßig an der Lobbyarbeit durch die USA und auch Deutschlands gescheitert. Aus diesem Grund gibt es keine Hoffnung, dass dieses Gericht gegen Schützlinge der ehemaligen Kolonialstaaten vorgehen wird, so lange dieses Land nicht in Ungnade gefallen ist.
2. Dann gibt es den Internationalen Gerichtshof (IGH), oder International Court of Justice. ICJ. Dies ist ein Weltgericht, welches durch die UN eingesetzt wurde, um Streitigkeiten zwischen Ländern zu schlichten bzw. zu entscheiden. Dieses Gericht hatte auch schon ein Gutachten abgegeben, nach dem die Apartheid-Mauer Israels, welche Palästina zersplittert, illegal ist. Südafrika und einige Staaten, welche die Klage unterstützen, haben sich nun an DIESES Gericht gewandt, um festzustellen, dass Israel einen Völkermord begeht.
Nun winken Zionisten ab. Der IGH verfügt nicht über eigene Möglichkeiten der Durchsetzung eines Urteils. Deshalb befürchtet Israel nicht wirklich Maßnahmen, da über das Veto der USA im Sicherheitsrat Maßnahmen gegen Israel zur Durchsetzung eines evtl. Urteils durch den Sicherheitsrat verhindert werden können.
Abgesehen davon, wird der rechtliche Vorgang lange dauern, und sicher keine unmittelbare Wirkung auf den Genozid haben. Wieder einmal sollen einfach Fakten geschaffen werden, danach sitzt man die Folgen aus. Entscheidend ist nicht, was dort verhandelt wird, sondern entscheidend ist, welchen Druck die Bevölkerungen der Welt auf ihre Regierungen machen, Israel die Unterstützung zu entziehen und sie zu einem Paria-Staat zu machen.
Gewaltfrei und weltweit agiert die Menschenrechtsbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen)[9]. Diese hofft zu erreichen, was vergleichbaren Bewegungen im Fall von Südafrika gelang: Das Apartheidregime zu beenden. Und in der Folge vielleicht sogar zu erreichen, dass die wichtigsten Akteure des Völkermordes zur Rechenschaft gezogen werden. Deutsche Politiker hatten es am 17. Mai 2019 während einer Aussprache im Bundestag fast unisono als implizit „antisemitisch“ bezeichnet[10]. Dabei zeugten die Äußerungen der Politiker von einem unglaublichen Unwissen über die Geschichte Palästinas[11].
Südafrika hat nun einen ersten Schritt unternommen und fordert eine Untersuchung der Vorgänge in Gaza durch ein UN Weltgericht. Am Ende eines langen und ausführlichen Artikels erklärt Robert Herbst:
“Mögliche Ergebnisse und Auswirkungen: In der Sache haben die südafrikanischen Anwälte die völkermörderischen Handlungen und Absichten Israels überzeugend dargelegt und den beantragten vorläufigen Rechtsschutz begründet. Südafrika ist nicht allein. Die Präsidenten oder andere Staatsbeamte von Algerien, Bangladesch, Bolivien, Kolumbien, Kuba, Ägypten, Honduras, Iran, Irak, Jordanien, Libyen, Malaysia, Namibia, Pakistan, Syrien, Türkei, Tunesien und Venezuela – allesamt Vertragsstaaten der Völkermordkonvention – haben laut Antrag Israels Handlungen als Völkermord beschrieben oder bezeichnet. Sie könnten die Klage Südafrikas vor dem IGH unterstützen. Als Mitglied der UNO ist Israel verpflichtet, dem Urteil des IGH in jedem ‚strittigen Fall‘, an dem es beteiligt ist, Folge zu leisten.
Tut es dies nicht, kann der Sicherheitsrat angerufen werden, der über Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils entscheiden kann. Natürlich haben die Vereinigten Staaten Israel im Sicherheitsrat schon oft mit ihrem Veto geschützt und könnten dies auch im Falle vorläufiger Maßnahmen oder eines für Israel ungünstigen Urteils in der Sache wieder tun. Sicherlich hat Israel das unverbindliche beratende Gutachten des Gerichtshofs aus dem Jahr 2004 ignoriert, in dem dieser die Trennmauer als illegal bezeichnete und das im Rahmen seiner Zuständigkeit für ‚Beratende Verfahren‘ abgegeben wurde. Aber das war etwas anderes als das verbindliche Urteil, das Israel hier im Rahmen der ‚Streitfall‘-Zuständigkeit des Gerichtshofs erwartet. Und das war eine Mauer. Ein Völkermord könnte etwas anderes sein, vor allem wenn das Urteil einstimmig und so gut dokumentiert und begründet ist wie die Klage Südafrikas.”[12]
Falls die USA wie üblich ihr Veto nutzen, um zu verhindern, dass die Verantwortlichen für ein Verbrechen dieses Ausmaßes zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt immer noch der Weg über die Generalversammlung der UNO. Wenn nicht spätestens dort die Aufarbeitung des vermutlichen Völkermordes aber wenigstens der ethnischen Säuberung Gazas beginnt, ist das Auseinanderbrechen der UNO zu befürchten.
Das Wichtigste aber, so konnte man voraussagen, wird die Reaktion der Menschen weltweit sein. Werden sie, wie einst im Fall von Südafrika, ein Regime zu Fall bringen, welches von den größten Mächten der Welt beschützt wird? Werden sie in der Lage sein, durch Boykott, Forderungen von Desinvestitionen und Sanktionen die öffentliche Meinung der Staaten so zu verändern, dass die dort Herrschenden nicht anders können, als dem Druck, wie im Fall Südafrikas, nachzugeben?
Wie in der Vergangenheit, war im Januar 2024 anzunehmen, dass die USA und Deutschland alles unternehmen, um eine solche Untersuchung zu verhindern. Und sie werden sich damit ganz offen der Mittäterschaft bezichtigen lassen müssen.
Noch immer bestimmen die Macht der Wirtschaftskriege des Westens, die vom Westen installierten korrupten Systeme in anderen Staaten und die Angst vor der Vernichtungsmaschinerie des Westens die Politik der Mehrheit der Staaten der Welt. Aber mit dem Genozid in Gaza wird es einen noch tieferen Einschnitt in die historische Dominanz geben. Ein nächster Schritt wäre z.B. die Errichtung eines Völkerrechtstribunals, in dem Israel und die es unterstützenden westlichen Staaten angeklagt werden. Sicher war die Zeit im Januar 2024 noch nicht reif, weil noch zu viele Staaten unter der wirtschaftlichen und militärischen Kontrolle des Westens stehen. Und weil der IGH ja noch gar kein Urteil gefällt hatte. Aber so wie die wirtschaftliche Dominanz schwindet, so verringert sich auch die Angst vor der militärischen Macht. Was man an der Aktion eines der ärmsten Länder der Welt, des Jemens sehen kann.
Der Jemen hatte die Stirn, eine Blockade Israels für Schiffe zu erklären und kam bis Januar und sogar länger damit durch. D.h. die Macht mehrerer Flugzeugträgerverbände der USA scheint nicht auszureichen, um einen Krieg gegen den Jemen, gegen das ärmste Land er Großregion, zu führen. Die Zeit der Kanonenbootdiplomatie scheint endgültig vorbei zu sein. Und in der Ukraine wird immer deutlicher, dass ein entschlossener Gegner in der Lage ist, auch der gesamten NATO und den mit ihr verbundenen Staaten die Stirn bieten kann. Am 1. Januar kursierten Meldungen, dass USA und Großbritannien kurz davor stünden, einen massiven Angriffskrieg gegen den Jemen zu führen. Außer der Region, wäre wieder die EU durch die dann vermutlich blockierten Handelswege der Hauptleidtragende. Was Firmenaufkäufer aus den USA sicher entgegengekommen wäre. Anscheinend waren diese Meldungen jedoch voreilig.
Und in Gaza wehren sich im Januar 2024 ein paar Aufständische mit leichten Waffen immer noch gegen den mächtigsten Militärstaat der Region, der noch dazu von tausenden ausländischen Söldnern und von der größten Militärmaschinerie der Welt, den USA, unterstützt wird.
Israel ist militärisch nicht zu schlagen, weil es im Falle einer existentiellen externen Bedrohung erklärte, die Samson Doktrin[13], also Kernwaffen einzusetzen. Israel bedroht die ganze Welt für den Fall, dass das zionistische Apartheidsystem in seiner Existenz bedroht sein sollte.
Südafrika hatte auch, wenn auch viel weniger, Kernwaffen, und die Veränderung erfolgte von innen heraus. Mehrere Kämpfer gegen die Apartheid in Südafrikas haben erklärt, dass die Apartheid in Israel um Größenordnung schlimmer sei. Denn so menschenverachtend die Apartheid in Südafrika war, so gab es doch keine massenweisen Vertreibungen und keine Massaker wie man gerade in Gaza beobachten kann. Die Veränderung in Südafrika fand statt, weil viele Graswurzelbewegungen in der Welt Druck ausgeübt hatten.
Das ist auch der Grund, warum die israelischen Regierungen so große Angst vor der BDS-Bewegung haben und warum die Bundesregierung Deutschlands diese als antisemitisch verleumdet. Dabei ist die BDS-Bewegung eine gewaltfreie, weltweite Bewegung zur Unterstützung der Rechte der Palästinenser in Israel und in den besetzten Gebieten. Sie basiert ausschließlich auf den Grundlagen der UN-Konventionen und Entschlüssen. Und sie wird immer wirkmächtiger. Solche Bewegungen sind die größte Gefahr für ein Apartheidsystem wie Israel. Denn wenn Investitionen abfließen, wenn Produkte, die illegal auf besetztem Gebiet produziert wurden, nicht mehr verkaufbar werden, wenn Wissenschaftler nicht mehr zu Kongressen und Sportler nicht mehr zu Sportveranstaltungen eingeladen werden, dann wird sich innerhalb der israelischen Gesellschaft etwas bewegen. Ähnlich wie damals in Südafrika.
[2]Ebd.
[3]Ebd.
[7]Ebd.
[8]https://reliefweb.int/report/occupied-palestinian-territory/hostilities-gaza-strip-and-israel-flash-update-74-enarhe
[11]Mehr dazu, auch entlarvende Aussagen der Politiker im Einzelnen in dem E-Book, welches zum kostenlosen Download für Käufer dieses Buches verfügbar ist.