Der IGH im Fall gegen Deutschland
Anfang Mai 2024 wurde das Zwischenurteil des IGH gegen Deutschland wegen Beihilfe zum plausiblen Völkermord in Gaza bekannt gegeben[1].
Die Verkündung der Entscheidung des IGH war relativ kurz und schmerzlos. Schmerzlos für Deutschland. Dadurch dass Deutschland die Zahlungen an die UNRWA wieder aufgenommen hatte und die Waffen- und Munitionslieferungen drastisch zurückgegangen waren, sah sich das Gericht außerstande, dem Antrag Nicaraguas zu folgen, sofortige provisorische Maßnahmen gegen Deutschland zu verhängen, um die Unterstützung des vermuteten Völkermordes in Gaza durch Israel nicht weiter aktiv zu unterstützen.
Die deutschen Medien jubelten und erklären das Zwischenurteil zu einem Sieg der Bundesregierung[2]. Fast kein Medium wagte darauf hinzuweisen, dass der Fall selbst keinesfalls zurückgewiesen worden war.
Gleichzeitig aber gab es nämlich einen Sieg für Nicaragua, da das Gericht der Meinung war, dass der Fall weiter untersucht und entschieden werden sollte. D.h. die formalen Gründe, welche Deutschland anführte sind ebenso vom Tisch wie die angebliche „Absurdität“ der Behauptung. Allerdings kann das Verfahren noch Jahre dauern. Es gab nur eine Gegenstimme gegen dieses Urteil.
Damit haben sich die älteren Richter-Herrschaften wieder einmal aus der Affäre gezogen und den Vorgang auf die lange Bank geschoben, in der Erwartung, dass alles abkühlen wird, und dann niemanden mehr interessiert, was entschieden wird. Und es hat den Kritikern dieser Gerichte der UN etwas den Wind aus den Segeln genommen, eine neue Struktur für das zur Verantwortung ziehen von Völkermördern zu erschaffen.
Das Urteil ist Teil der postkolonialen Ordnung, die da heißt: Greife nur im äußersten Fall und wenn die Tatsachen geschaffen und nicht mehr verändert werden können, in die Kriege kolonialer bzw. imperialer Mächte ein. Deshalb wurde in Deutschland auch ein echter Strafrechtsparagraf gegen Angriffskrieg, der §80StGB gelöscht und angeblich durch das “Völkerstrafrecht”[3]ersetzt, weil es da weniger Verrenkungen[4] benötigt, um eine Anklage und Verurteilung gegen Kolonialländer bzw. Deutschland zu verhindern.
Unsere Qualitätsmedien
Die Reaktion der deutschen staatstragenden Medien ist zurückhaltend euphorisch. In der Süddeutschen liest man die Behauptung „die Beweise seien zu dünn“ gewesen[5]. Was aber nicht stimmt. Denn in diesem Fall gäbe es keine weiteren Ermittlungen und der Antrag Deutschlands, das Verfahren einzustellen, wäre nicht abgelehnt worden. Das Gericht konnte dieser Forderung nicht folgen, weil die Beweise eines Völkermordes durch Israel zu erdrückend sind. Wobei es entscheidende Unterschiede z.B. zu Srebrenica gibt, das nach Willen der Bundesregierung als Völkermord anerkannt werden sollte. Diesem scheußlichen Verbrechen der Ermordung kriegsfähiger Männer, abgesehen von den getöteten Kämpfern, die als Zivilisten angegeben wurden, ging eben keine klare Erklärung der Staatsführung voraus, und ausdrücklich waren Frauen und Kinder verschont worden, weshalb übrigens auch die israelische Regierung dort keinen Völkermord erkennen mag.
Die Tatsache, dass Deutschland die Militärlieferungen inzwischen drastisch eingeschränkt hat und die Hilfslieferungen für die UNRWA wieder aufnahmen, führten zwar dazu, dass das Gericht davon absah, Sofortmaßnahmen zu verhängen, ist aber keineswegs ein vorweggenommenes Urteil über Beihilfe zum Völkermord durch die vorherigen Waffen- und Munitionslieferungen.
Wäre das IGH dem Antrag Deutschlands gefolgt, das Verfahren einzustellen, wäre der Aufschrei groß gewesen, weil die Fakten einfach zu deutlich dagegen sprechen. Hätte es Sofortmaßnahmen verhängt, wie das Verbot von Waffenlieferungen, hätte Deutschland das Gericht als politisch urteilend bezeichnet, weil man doch schon von alleine den Forderungen Nicaraguas auch ohne deren Klage nachgekommen sei. Nun gibt es noch ein paar Monate und vielleicht Jahre Zeit, abzuwarten, wie sich die Fakten vor Ort entwickeln. Und danach ist das Urteil nur noch zweitrangig.
Die Frage ist, ob sich der größere Teil der Welt mit dieser Lösung zufrieden geben wird. Dass es brodelt, zeigt auch, dass China die UNO aufgefordert hat, das Attentat auf Nordstream zu untersuchen. Es gibt zu viele Dinge, von den Angriffskriegen der NATO, über Farbrevolutionen mit und ohne Gewalt bis jetzt zum „plausiblen“ Völkermord in Gaza, welche die Welt außerhalb der alten Kolonialländer und der USA nicht mehr akzeptieren will. Wobei viele Herrscher, auch außerhalb dieser Minderheit, noch den Unmut in der Bevölkerung unterdrücken können. Aber dieser Unmut wächst weltweit und die alten Mächte müssen immer gröber darauf reagieren, um die öffentliche Meinung unter Kontrolle zu halten, wie man bei der brutalen Antwort der USA auf seine Studentendemonstrationen sieht.
Und so ist es nicht auszuschließen, dass wir in 10 Jahren, spätestens 20 Jahren eine Alternative zur UNO entstehen sehen. Zum Beispiel durch den Zusammenschluss von BRICS+ und der Shanghaier Konferenz für Zusammenarbeit (SZO) mit weiteren regionalen Organisationen Afrikas und Asiens. Es wird immer deutlicher, dass die selbsternannte koloniale bzw. imperiale Elite bald nur noch einen Krieg als Ausweg sehen wird.
Abzuwarten bleibt, wie der Streit innerhalb des Finanzkapitalismus ausgehen wird. Ob die Gruppe der Klimagegner- und Kriegsbefürworter sich durchsetzen wird, oder die Gruppe, welche ganz einfach die enormen Entwicklungsmöglichkeiten außerhalb der westlichen Glaubensgemeinschaft und ihrer Vasallen erkennt und Profite ohne Krieg generieren will.