Jüdische Intellektuelle

 

Jüdische Intellektuelle

Lee Mordechai, Historiker und israelischer Bürger, legte am 15. April 2024 ein Zeugnis über die Ereignisse in Gaza ab[1], welche eine Völkermordabsicht und -Realisierung der israelischen Regierung beweisen. Seine wissenschaftliche Darlegung dieses Völkermordes, so erklärt er in einer E-Mail an den Autor, werde weiter ergänzt und erweitert. Weshalb der Leser angehalten ist, die aktuellste Version des englischsprachigen Dokumentes zu benutzen, um den letzten Stand der historischen Feststellungen zu lesen[2]. An dieser Stelle soll nur grob und zusammenfassend auf die Arbeit eingegangen werden.

In der Übersicht am Beginn seiner Arbeit, stellt Mordechai fest, dass er mit dem Dokument Zeugnis ablegen wolle über die schreckliche Situation in Gaza, wie sie sich zum Zeitpunkt der Erstellung des Dokumentes darstellte. Die enorme Menge an Beweisen, die er gesichtet habe und auf die er in seiner Arbeit bezugnehmen werde, haben ihn zu der Überzeugung gebracht, dass Israel einen Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza begehe. Dann erklärt er, warum er den Begriff gewählt hat.

„Der derzeitige Krieg ist angeblich die israelische Reaktion auf das Hamas Massaker vom 7. Oktober 2023, ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das im Rahmen des Kontextes des langjährigen Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern begangen wurde, der bis ins Jahr 1917 oder 1948 (oder andere Daten) zurückreicht. In allen Fällen bin ich nicht der Ansicht, dass historische Missstände und Gräueltaten zusätzliche Gräueltaten in der Gegenwart rechtfertigen. Daher halte ich Israels Reaktion auf die Aktionen der Hamas am 7. Oktober für völlig unverhältnismäßig und kriminell.“[3]

Dann folgt eine Erklärung, wie seine Arbeit aufgebaut ist und dass die Version vom April die fünfte Version der Arbeit sei. Im letzten halben Jahr habe Israel wiederholt Palästinenser im Gazastreifen massakriert, was zum Tod von mehr als 33.000 Palästinensern - etwa zwei Drittel davon Frauen und Kinder – geführt habe. Zehntausende weitere wurden verletzt und mindestens Tausende werden vermisst. Es gebe zahlreiche Beweise für Israels wahllose und unverhältnismäßige Angriffe während des gesamten Krieges sowie viele Beispiele für Massaker und andere Tötungen.

Eine lange Liste von internationalen Institutionen habe die israelische Kriegsführung scharf kritisiert. Während Israel aktiv versucht habe den Tod der Zivilbevölkerung in Gaza herbeizuführen. Israel habe auch de facto eine Hungersnot im Gazastreifen herbeigeführt und sie als Kriegswaffe eingesetzt, was zum Tod von Dutzende von Zivilisten (hauptsächlich Kinder) geführt habe. Israel habe Engpässe bei Wasser, Medizin und Strom erzeugt und das Gesundheitssystem und die zivile Infrastruktur des Gazastreifens zerstört. Infolgedessen sterben mehr Menschen an behandelbaren Krankheiten und schwierige medizinische Eingriffe wie Amputationen und Kaiserschnitte werden ohne Anästhesie durchgeführt.

Der israelische Diskurs habe die Palästinenser in einem solchen Ausmaß entmenschlicht, dass die große Mehrheit der israelischen Juden die oben genannten Maßnahmen unterstützt. Die Entmenschlichung wurde von Israels höchsten Staatsbeamten angeführt, erklärt der Autor, und werde weiterhin durch die staatliche Infrastruktur und das Militär unterstützt. Dehumanisierung sei auch in der breiteren Zivilgesellschaft weit verbreitet. Die Entmenschlichung führe zu weit verbreitetem Missbrauch und Gewalt gegen inhaftierte Palästinenser und Zivilisten aus dem Gazastreifen und deren Eigentum, ohne dass dies Konsequenzen hätte. Die überwiegende Mehrheit der entmenschlichenden Inhalte werde von Israelis und wird von palästinensischen Erfahrungsberichten bestätigt.

„Die Beweise, die ich gesehen habe, deuten darauf hin, dass eines der wahrscheinlichen Ziele Israels darin besteht, den Gazastreifen ethnisch zu säubern, sei es in Teilen oder im Ganzen, indem so viele Palästinenser wie möglich entfernt werden. Wichtige Mitglieder der israelischen Regierung haben Erklärungen abgegeben, die diese Absicht bestätigen, und mehrere der israelischen Ministerien haben ein solches Ende geplant oder daran gearbeitet, es zu erleichtern. Israel hat bereits große Teile des Gazastreifens durch Abriss und Bulldozer geräumt und versucht auch, die Struktur der palästinensischen Gesellschaft zu zerstören, indem es gezielt zivile Einrichtungen wie Universitäten angreift,  Bibliotheken, Archive, religiöse Gebäude, historische Stätten, Bauernhöfe, Schulen, Friedhöfe, Museen und Märkte. Bislang wurde mehr als die Hälfte der Gebäude im Gazastreifen zerstört oder beschädigt.“[4]

Eines der Ziele des Krieges sei nach Angaben der israelischen Regierung die Freilassung der Geiseln - von denen sich noch über 130 in der Gefangenschaft der Hamas befinden. Die Beweise zeigten, dass dies im Vergleich zu den ethnischen Säuberungen eine niedrige Priorität für die Regierung hat. Bis heute habe Israel genau drei Geiseln durch militärische Operationen befreit, während viele andere Geiseln direkt oder indirekt durch seine Aktionen getötet wurden. Außerdem habe Israel bei vielen Gelegenheiten die Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln verzögert oder versucht, sie zu behindern.

Dann weist der Autor darauf hin, dass die weltweite Aufmerksamkeit für Gaza die Aufmerksamkeit vom Westjordanland abgelenkt habe. Dort haben die israelischen Operationen durch das Militär oder die Siedler seit Beginn des Krieges zu der ungerechtfertigten Tötung von mehr als 400 Palästinensern, die ethnische Säuberung von mindestens 15 lokalen Gemeinschaften sowie die ethnische Säuberung von mindestens 15 lokalen Gemeinden sowie eine starke Zunahme der Gewalt, des Missbrauchs und der Demütigung von Palästinensern durch den israelischen Staat und jüdische Siedler geführt, berichtet er im April. All dies sei durch die starke Unterstützung der meisten Mainstream-Medien in Israel als auch im Westen möglich gewesen. Wobei er die USA, Großbritannien und Deutschland besonders hervorhebt.

Seit Beginn des Krieges habe Israel eine Informationskampagne geführt, welche die Schrecken des 7. Oktobers mit zuverlässigen und unzuverlässigen Informationen unterstrich, kritische Stimmen außerhalb Israels diskreditierte, den Informationsfluss aus dem Gazastreifen einschränkte und die israelische Öffentlichkeit durch Einschränkung des innenpolitischen Diskurses „um den Krieg scharte“. Infolgedessen seien die israelischen Medien und der israelische Diskurs überwiegend und unkritisch für den Krieg. Die Mainstream-Medien in den USA teilten einen Großteil dieses Ansatzes.

Eingehende Untersuchungen der Verleumdungskampagne Israels gegen das UNRWA und die anhaltenden Zweifel an den palästinensischen Todeszahlen offenbarten, dass es sich in beiden Fällen um unbegründete Propaganda handele. All dies versuche die israelische Gewalt und Aktionen zu legitimieren, lenke von vielen Ereignissen in Gaza ab und trage zur Entmenschlichung der Palästinenser bei.

„Ich möchte den zweiten Überfall auf das al-Shifa-Krankenhaus Ende März als Fallstudie für viele der oben beschriebenen Themen nehmen. Die Beweise, die ich gesehen habe und die ich im Folgenden beschreibe, genügen mir, um zu glauben, dass das, was Israel der palästinensischen Bevölkerung in Gaza antut, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, das mit der Definition von Völkermord, wie ich sie verstehe, übereinstimmt. In einem Anhang erkläre ich meine Gründe für die Verwendung dieses Begriffs.“[5]

Einleitung

In der Einleitung erklärt der Autor, dass seine Ansicht nur von einer sehr kleinen Minderheit der israelischen Gesellschaft geteilt wird. Und er erklärt, dass er der Meinung ist, dass Israel in Gaza ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht. Er geht auf die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates ein und dass Israel alle Forderungen nach Waffenstillstand unbeachtet gelassen hat. Und er schreibt, wie Israel die Zerstörung mit Hilfe einer Künstlichen Intelligenz auf ein neues Niveau gehoben hat.

Dann geht er auf die Opferzahlen der Palästinenser ein.

„Bis zum 15. April hat Israel über 33.797 Menschen aus dem Gazastreifen getötet - 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung des Gazastreifens.[6] Diese Zahl ist konservativ und wird mit ziemlicher Sicherheit steigen.[7] Die Zahl wird von israelischen Offiziellen akzeptiert (siehe Diskussion unten).[8] Die Zahl beinhaltet nicht Tausende bis Zehntausende von Vermissten, von denen viele noch unter den Trümmern begraben sind[9]. Sie enthält auch keine Personen, deren Tod dem überforderten Gesundheitsministerium in Gaza nicht gemeldet wurde. Nach den verfügbaren öffentlichen Daten sind zwischen 58 und 72 % der Todesopfer in Gaza Frauen und Kinder[10]. Bis Mitte April waren etwa 14.500 Kinder getötet worden.[11] 76.465 Menschen (etwa 3 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens) wurden verletzt.[12] Eine Umfrage unter Palästinensern im südlichen Gazastreifen Ende März ergab, dass 60 % der Befragten ein Familienmitglied während des Krieges verloren haben.[13]

Es folgen dann ausführliche Darstellungen von willkürlichen und unverhältnismäßigen Angriffen, welche darauf zurückzuführen seien, dass das Verteidigungsministerium erklärt hat, dass jede Zurückhaltung bei der Kriegsführung aufzugeben sei. Die Zahlen, die er mit Quellen angibt sind beeindruckend. Er vergleicht sie dann mit anderen Konflikten: „Im Dezember hat Israel 29.000 Munitionsarten [gemeint sind Bomben und Artilleriegranaten] auf den Gazastreifen abgeschossen - zum Vergleich: Das US-Militär hatte von 2004 bis 2010 3.678 Munitionsarten auf den Irak abgeschossen“.

Der Autor berichtet über mehrere Massaker, welche von Menschenrechtsorganisationen untersucht worden waren. Er erwähnt, dass ein ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär erklärt habe, dass die Tötungsrate die höchste sei, seit dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994. In dem Bericht werden Ärzte zitiert, die vom Grauen für Zivilisten berichteten. Und Mordechai geht dann auf die Nutzung von KI durch das israelische Militär ein.

Die KI-Tötungslisten

„Israel hat Programme auf der Grundlage künstlicher Intelligenz (KI) eingesetzt, um umfangreiche Tötungslisten für Attentate zu erstellen.  Das "Lavender"-System wurde entwickelt, um alle mutmaßlichen Aktivisten der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad, auch solche mit niedrigem Rang, als potenzielle Bombenziele zu markieren. Zu Beginn des Krieges wurden 37.000 Menschen im Gazastreifen von dem automatischen System als mutmaßliche Kämpfer markiert, darunter auch Kinder unter 17 Jahren. Eine Quelle der IDF behauptete, sie würden jedem Ziel nur "20 Sekunden" widmen, bevor sie einen Bombenangriff genehmigen, trotz einer hohen Fehlerquote im System (~10%). Die IDF griffen systematisch Ziele in ihren Häusern an, oft nachts im Beisein ihrer ganzen Familie, nachdem sie sie mit einem anderen KI-System namens "Where's Daddy?" aufgespürt hatten.  In den ersten Wochen des Krieges war es erlaubt, bis zu 15 oder 20 Zivilisten (im Gegensatz zu 0 in der Vergangenheit) für jeden jüngeren Hamas-Agenten zu töten. Bei Angriffen auf hochrangige Beamte war die Tötung von mehr als 100 und bis zu 300 Zivilisten erlaubt. Experten für humanitäres Völkerrecht äußerten sich alarmiert über diese Verhältnisse. Zum Vergleich: Als die USA Bin Laden ermordeten, betrug die zulässige Zahl der getöteten Zivilisten 30, während die Zahl für die meisten niedrigrangigen Kommandeure in den US-Kriegen im Irak und in Afghanistan bei 0 lag.“

Das Dokument hält fest, dass Israel bis zum April 2024 statistisch gesehen täglich 75 Kinder tötete. Was alle anderen Opferzahlen in bisherigen Konflikten übersteigt. Dann geht der Bericht auf die Tötung von 140 Journalisten ein und die von 244 UN-Hilfspersonal. Israel tötete auch gezielt 100 Professoren von Universitäten und 490 medizinische Erstversorger. Schließlich werden die in Krankenhäusern getöteten erwähnt, darunter auch frühgeborene Babys.

Unter der Überschrift „Massaker, Einsatzregeln und Beispiele“ berichtet der Autor über viele Gräueltaten. Wer mag, kann sie dort nachlesen. Nur zwei willkürlich ausgesuchte mögen einen Eindruck vermitteln: „Eine Menschenrechtsorganisation hat weitere Fälle dokumentiert, in denen israelische Soldaten Dutzende von palästinensischen Zivilisten absichtlich überfahren haben, während sie noch lebten. In einem anderen Fall erschoss ein IDF-Soldat einen behinderten palästinensischen Mann vor den Augen seiner Mutter in einem Krankenhaus im Gazastreifen, nachdem der Mann aus Angst geschrien hatte und nicht aufhörte, als der Soldat ihm den Befehl gab.“ Die Beschreibung solcher Taten mit den entsprechenden Quellen erstreckt sich über mehrere Seiten.

Ein Kapitel beschäftigt sich dann mit „Verursachung des Todes der Zivilbevölkerung“ durch die Blockade von humanitären Lieferungen an die bedürftige Bevölkerung. Es wird beschrieben, mit welchen Mitteln offizielle israelische Beamte durch Schikanen, Beschuss und andere Mittel, sowie Teile der israelischen Zivilgesellschaft durch Blockaden und Zerstörungen verhinderten, dass überlebensnotwendige Hilfslieferungen die hungernden und verdurstenden Teile der Bevölkerung von Gaza erreichten. Darin enthalten ist auch die Beschreibung des „Mehl-Massakers“.

„Das ‚Mehlmassaker‘ Ende Februar … war offenbar das Ergebnis dieses Ansatzes Israels, die Hilfslieferungen mit einer Familie in Gaza-Stadt zu koordinieren. Die Hamas reagierte, indem sie versuchte, lokale Notfallkomitees für die Sicherheit und die Verteilung von Hilfsgütern einzurichten, wobei sie offenbar das al-Shifa-Krankenhaus im Norden für diese Koordination nutzte. Israel reduzierte die Anzahl der Lastwagen, die es in den Gazastreifen ließ, auf weniger als ein Drittel der Menge, zu der es sich verpflichtet hatte. Gleichzeitig griff es [palästinensische] Polizeibeamte aus dem Gazastreifen an, die für die Koordinierung der Hilfe zuständig waren. Dies war der Hintergrund für Israels zweiten Angriff auf al-Shifa Mitte März…, bei dem mehrere Personen getötet wurden, die eng mit den Hilfsbemühungen verbunden waren. Ende März wurden bei den israelischen Angriffen auf die Hilfskomitees mehr als 70 Menschen getötet, die auf Hilfe warteten, so dass die Komitees ihre Arbeit einstellten. Israel schränkte die Verteilung der Hilfsgüter weiter ein, indem es den Vereinten Nationen mitteilte, dass es keine weiteren UNRWA-Konvois in den nördlichen Gazastreifen zulassen würde. Weitere Polizeibeamte, die mit der Verteilung von Hilfsgütern zu tun hatten, wurden im April getötet.“[14]

In einem Kapitel über Hungersnot und Verhungern beschreibt der Autor die Maßnahmen der israelischen Besatzungsmacht, mit der Hungertote erzeugt wurden und Hunger als kollektive Bestrafung der Bevölkerung eingesetzt wurde. Mindestens 28 Kinder und mehrere Erwachsene waren bis Mitte April auf Grund fehlender Nahrung gestorben.

„Führende Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch und Oxfam kamen zu dem Schluss, dass ‚die israelische Regierung das Aushungern von Zivilisten als Kriegswaffe in Gaza einsetzt‘. Die israelische Regierung hat dies de facto zugegeben und in einem breiteren historischen Kontext hat Israel seit langem Lebensmittel auf diese Weise in Gaza eingesetzt. In einem Bericht einer globalen Behörde für Lebensmittelsicherheit und Ernährung von Mitte März hieß es, dass in den nördlichen Gouvernements des Gazastreifens in den nächsten zwei Monaten eine Hungersnot (…) drohe.“[15]

Dass Nahrungsmittelknappheit schon seit über 10 Jahren von Israel gegen Gaza zur Bestrafung der Bevölkerung eingesetzt wird, hatte ich auch schon in meinem Buch beschrieben[16]. Allerdings hat diese Praxis nun ein Ausmaß erreicht, welches in einen zusätzlichen bewussten Massenmord führt.

Der Bericht erwähnt dann weiter, welche Folgen die Blockade von Elektrizität, Medizin und Wasser für die Bevölkerung hat. Auch hier nur ein kurzer Einblick in die lange Liste der Auswirkungen:

„Selbst grundlegende medizinische Hilfsmittel sind knapp. Mull zum Beispiel wird sterilisiert und für den nächsten Patienten wiederverwendet. Der Mangel an medizinischem Material hat dazu geführt, dass medizinische Operationen, einschließlich Kaiserschnitte und Amputationen, ohne Anästhesie oder Blutkonserven durchgeführt werden müssen. Ein Online-Video zeigt einen Arzt aus dem Gazastreifen, der den Fuß seiner Tochter auf dem Esstisch in ihrem Haus ohne Betäubung amputieren musste.“[17]

Besonders von den Amputationen betroffen sind die Kinder. Viele Neugeborene waren Opfer von Mangelernährung. Der Bericht eröffnet Einblicke in Abgründe menschlichen Leids, welches ihnen in voller Absicht zugefügt wurde. Das wäre in dem Umfang nicht möglich gewesen, wenn es nicht im israelischen Diskurs eine systematische Entmenschlichung von Palästinensern gegeben hätte. Darüber berichtet ein weiteres Kapitel.

Entmenschlichung

Mit unzähligen Beispielen beschreibt der Autor, wie die Führung des Landes zusammen mit den Medien eine Kampagne betrieb, welche diesen Völkermord erst möglich machte. An dieser Stelle seien nur ein paar Links zu dieser Dämonisierung von Babys bis Großmüttern aus dem Originaldokument angeführt.[18]

Dann erklärt Mordechai, wie speziell innerhalb der IDF verbreitet wurde, dass Palästinenser keine Menschen seien. Und diese Hasskampagne ging von der Spitze des Staates aus.

Israels Premierminister hat den Konflikt als ‚einen Kampf zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Dunkelheit, zwischen Menschlichkeit und dem Gesetz des Dschungels‘ beschrieben, erklärte, dass ‚dieser Krieg Zivilisation gegen Barbarei ist‘ und definierte den Krieg als eine Schlacht gegen das biblische Amalek, das die Bibel zur vollständigen Vernichtung anweist: Männer, Frauen, Kinder und Vieh.“[19]

An anderer Stelle in diesem Buch kann man lesen, wie der Premierminister Benjamin Netanjahu verschlüsselt erklärt, dass er nicht von Gott bestraft werden wolle, weil er die Amalek nicht vollständig vernichtet, und er sinngemäß nicht ruhen werde, bis Gottes Anordnung erfüllt sei.

Der Autor des Berichtes beschreibt dann, wie die westlichen Unterstützer versuchten, diese totale Vernichtung irgendwie zu erklären, zu legitimieren, z.B. indem sie behaupteten, jedes zweite Haus sei durch einen Tunnel mit Hamas verbunden.

Schließlich, was vielleicht noch das Abscheulichste innerhalb der Gräueltaten des Besatzungsstaates war, hatte die IDF einen Telegram-Kanal veröffentlicht („72 Jungfrauen – Unzensiert“), in dem unzensierte „exklusive“ Videos von Tötungen und toten Körpern in Gaza veröffentlicht wurden und, wie der Historiker festhält: „…unter Verwendung einer expliziten Sprache, in der die Bewohner des Gazastreifens auch mit Kakerlaken und Ratten verglichen wurden.“[20]

Ein separater Teil des Berichtes beschreibt die Bedingungen, welche willkürlich in Haft genommene Palästinenser auf Grund der Entmenschlichung erleiden mussten. Hunderte von Beispielen von Demütigungen, Folter und auch Verstorbenen in Haft werden dokumentiert.

In einem dieser Berichte gab ein von Israel inhaftierter Arzt aus Gaza an, dass man ihn 45 Tage lang festgehalten habe. Während dieser Zeit habe man ihm die Augen verbunden und ihm Handschellen angelegt und seine Beine seien mit Klammern festgebunden gewesen, was einer Folter gleichkommt. Später wurde er freigelassen. (…) Die israelischen Streitkräfte gaben zu, dass weitere inhaftierte Palästinenser aus Gaza gestorben seien, weigerten sich jedoch, weitere Einzelheiten zu nennen, bis Haaretz Anfang März enthüllte, dass 27 Gaza-Bewohner in israelischen Gefangenenlagern gestorben seien. Zum Vergleich: Im berüchtigten [illegalen] amerikanischen Gefängnis Guantánamo starben während der mehr als 20-jährigen Betriebszeit neun Häftlinge.“[21]

Ganz besonders mussten weibliche Gefangene der Besatzungsmacht leiden. Der Bericht erklärt unter anderem:

Die Zahl der seit dem 7. Oktober in Gaza (und im Westjordanland) inhaftierten Frauen liegt bei Hunderten (140 in Gaza Mitte Dezember). Mitte Februar fand ein vom UN-Menschenrechtsrat eingesetztes Expertengremium Beweise für ungeheuerliche Menschenrechtsverletzungen, darunter die Unterbringung von Frauen in Gaza in einem Käfig bei Regen und Kälte ohne Nahrung, sexuelle Übergriffe gegen inhaftierte Frauen, darunter in zwei Fällen Vergewaltigung, Androhung von Vergewaltigung und sexueller Gewalt sowie das Hochladen von Bildern von weiblichen Häftlingen unter erniedrigenden Umständen.“[22]

Dann kommt der Autor zu den Beweisen einer versuchten und durchgeführten Ethnischen Säuberung. Diese wird ganz offen in der Gesellschaft und zwischen den verschiedenen israelischen Ministerien diskutiert. Erwähnt wird, dass der Plan, die Bevölkerung von Gaza auf die Sinai-Halbinsel zu vertreiben, durchgesickert war und dass die israelische Regierung versuchte, verschiedene Regierungen zu überzeugen, Menschen aus Gaza anzusiedeln. Jedoch war diese ethnische Säuberung bisher unzufriedenstellend aus Sicht Israels.

Mitte Februar gab eine lokale Menschenrechtsorganisation bekannt, dass Ägypten einen Hochsicherheitsbereich zur Aufnahme palästinensischer Flüchtlinge errichtete und Ende März behauptete eine ägyptische Quelle, Ägypten bereite sich auf den Einmarsch von 150.000 Palästinensern während einer israelischen Invasion in Rafah vor. Jared Kushner, der Schwiegersohn von Donald Trump, schlug Mitte März vor, Israel solle Zivilisten aus Gaza abziehen und fügte hinzu, dass „Grundstücke am Wasser [in Gaza] sehr wertvoll sein könnten“. Schätzungen zufolge lag die Zahl der Palästinenser, die bis April nach Ägypten ausgereist waren, bei 30.000 bis 50.000.“[23]

Der Bericht fährt fort mit Erklärungen, wie der Staat und Einzelorganisationen systematisch den Gaza-Streifen als israelisches Gebiet in Beschlag nehmen.

„Alle Beweise, die ich gesehen habe, deuten darauf hin, dass Israel Gaza systematisch zerstört, um es in Zukunft unbewohnbar zu machen. In den ersten drei Monaten der Kämpfe hatte Israel über 10.000 Gebäude im Gazastreifen zerstört – verglichen mit etwa 4.700 Gebäuden in Aleppo nach drei Jahren Kampf. Laut einem gemeinsamen Bericht der Weltbank und der UNO beliefen sich die Kosten für Schäden an physischen Strukturen allein Ende Januar auf rund 18,5 Milliarden Dollar (die Kosten während der „Fels in der Brandung“ 2014 betrugen 1,4 Milliarden Dollar). In der ersten Woche der Kämpfe warf Israel 6.000 Bomben auf Gaza – mehr als die jährliche Gesamtzahl der von den USA in Afghanistan eingesetzten Bomben. Ein Experte auf diesem Gebiet wies darauf hin, dass diese Zerstörung dem Begriff „Domizid“ entspricht, einer massiven Verletzung des Rechts auf Wohnraum und grundlegende Infrastruktur in Wohngebieten, indem diese unbewohnbar gemacht werden, was selbst ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist.“[24]

Der Bericht unterlegt diese Feststellung mit vielen weiteren Fakten, wie der Zerstörung von kulturellen, administrativen, religiösen und Bildungseinrichtungen wie z.B. Universitäten. Es wird berichtet über die Plünderung und den Diebstahl von öffentlichem und privatem Eigentum.

Die Geiseln

„In diesem Zusammenhang hat die israelische Regierung davon abgesehen, ernsthafte Schritte zur Freilassung der 134 israelischen Geiseln zu unternehmen, die sich noch im Gazastreifen befinden. Bisher wurden drei der rund 250 am 7. Oktober gefangenen Geiseln durch Militäroperationen befreit. Bei der Militäroperation, bei der zwei von ihnen freigelassen wurden, wurden auch 74 Menschen aus Gaza (oder rund 100) getötet, die meisten davon Zivilisten. Drei weitere israelische Geiseln wurden von IDF-Truppen im Gazastreifen getötet, obwohl sie weiße Fahnen schwenkten und um Hilfe riefen. Ein weiterer kam bei einem Rettungsversuch ums Leben. Drei weitere wurden angeblich durch Gas getötet, mit dem die IDF die Tunnel fluteten. Ende Februar stellte ein israelischer Bericht fest, dass mindestens zehn Geiseln durch Aktionen der IDF getötet wurden, darunter in einem Fall, bei dem die IDF ein Gebäude bombardierten, in dem sie eine israelische Geisel vermuteten. Ende März teilte ein auf militärischen Geheimdienst spezialisierter Journalist die Schätzung mit, dass nur noch 60 bis 70 der Geiseln am Leben seien.“[25]

Demgegenüber, so der Bericht seien während eines Waffenstillstands 105 Geiseln unversehrt freigekommen. Die freigelassenen Geiseln hatten wiederholt erklärt, dass das furchterregendste und beängstigende während der Geiselhaft die Bombardierungen durch die IDF war[26]. Aber Israel wollte keine Freilassungen durch Verhandlungen, sondern die Freilassung mit militärischen Mitteln erzwingen.

Die West Bank

Der Bericht weist darauf hin, dass die Maßnahmen gegen die Bevölkerung von Gaza keineswegs auf das Gebiet beschränkt ist. Sondern dass auf der West Bank die Gewalt gegen Palästinenser dramatisch zugenommen hat.

„Mindestens 15 palästinensische Hirten-/Beduinensiedlungen wurden nach Angriffen durch israelische jüdische Siedler aufgegeben (727 wurden seit dem 7. Oktober registriert). Etwa 4.000 Palästinenser wurden im Jahr 2023 im Westjordanland vertrieben. Seit dem 7. Oktober wurden 1.244 vertrieben. Jüdische Siedler haben mehrere Palästinenser getötet und andere verletzt, terrorisiert und misshandelt. Siedler führten regelmäßig größere Amokläufe gegen palästinensische Dörfer durch. Bisher wurden insgesamt 432 Palästinenser getötet.“[27]

Die Liste wird weiter fortgeführt und endet mit der Feststellung, dass Israel auf der West Bank 7243 Acres oder ca. 29 Millionen Quadratmeter, der größte Teil bisher im Besitz von Palästinensern oder Gemeinden, als Eigentum des jüdischen Staates beansprucht. Der Bericht enthält Hinweise auf Videobeweise, welche die bewusste Erschießung von palästinensischen Zivilisten auf der West Bank zeigen.

„Als medizinisches Personal und muslimische Frauen verkleidete israelische Soldaten sind in ein Krankenhaus im Westjordanland eingedrungen und haben dort drei unbewaffnete Militante in ihren Betten im Schlaf getötet, darunter einen, der drei Monate lang gelähmt war. In einem anderen Fall tötete ein IDF-Soldat einen zum Judentum konvertierten Palästinenser, nachdem er in seinen Habseligkeiten ein Messer gefunden hatte. Zwei Videos zeigen, dass der Mann erschossen wurde, als er seine Hände hob.“[28]

Zahlreiche Berichte von Erniedrigungen, Schlägen, Misshandlungen, Zerstörung von Eigentum oder öffentlicher Infrastruktur von Palästinensern durch die Besatzungsmacht werden erwähnt. Und man mag sich vorstellen wie groß die Dunkelziffer sein mag. Wer sich versuchte dagegen zu wehren wurde verhaftet und war während der Haft noch schlimmeren Bedingungen ausgesetzt, die man im Originalbericht und seinen Quellen gerne nachlesen mag.

Ein großer Teil des Berichtes beschäftigt sich mit der Rolle der Medien in diesem Völkermord. Dabei beschränkt er sich auf US- und israelische Medien. Er beschreibt Lügen und Verdrehungen und welche wichtige Rolle die Medien in der Propaganda der Regierung Israels spielen. Er beschreibt, wie sie sich immer wieder und besonders auf den Horror des 7. Oktobers bezogen und dabei nicht nur übertrieben, sondern auch pur gelogen oder unbewiesenes berichtet hatten. Und, wie eine Untersuchung zeigte, die meisten Medien dachten nicht daran, ihre Konsumenten entsprechend zu informieren, wenn eine Nachricht als Lüge entlarvt worden war.

Eine wichtige Funktion war auch die Diskreditierung von kritischen Stimmen außerhalb Israels und der Bericht zeigt an Beispielen, wie das in Einklang mit der Politik gelang. Geholfen bei dieser Medien-Realität hatte die Tatsache, dass die Regierung den Informationsfluss aus Gaza drastisch reduziert hatte. Nicht nur durch die bewusste Tötung von Journalisten, sondern durch Zensur, Abschaltung des Internets, von Elektrizität usw. Bereits im Dezember 2023 hatte eine Untersuchung von Wissenschaftlern die Medien zum Propagandaarm der Regierung erklärt.

Der Bericht führt dann aus, wie in den Medien der Konflikt dargestellt wurde und dass die palästinensische Sicht praktisch nicht vorkam. Die Medien vertraten unkritisch eine den Völkermord unterstützende Position. Selbst kritische Stimmen wie die Haaretz hatten fünf Monate gewartet, bis ein Artikel es wagte, einen Waffenstillstand zu fordern, erklärt der Autor. An vielen Beispielen wird gezeigt, wie diese einseitige und unwahre Berichterstattung die öffentliche Stimmung für einen Völkermord weiter unterstützte.

Ähnliches berichtet Mordechai über die US-Medien. Besonders hebt er hervor, wie das UN-Hilfswerk für die Palästinenser verunglimpft, verleumdet und dämonisiert wurde. Und die israelischen Medien, welche schon seit längerer Zeit die Abschaffung der UN-Behörde fordern, unterstützten die US-Medien dabei. Berichtet wird auch darüber, wie die Propaganda versuchte, die Opferzahlen zu leugnen. Wobei wir inzwischen wissen, dass diese viel höher sein werden, wenn sich einmal der Nebel des Krieges gelegt haben wird. Da der Großteil der Opfer noch gar nicht geborgen wurde und noch unter den Trümmern liegt. Weshalb ja mehrere Analysten von über 100.000 Todesopfern ausgehen.

Allerdings, darauf sollte man hinweisen: Schlimmer als den Toten ergeht es den Verstümmelten, den Traumatisierten. Denen, deren Lebensexistenz vernichtet wurde, deren Wohnungen nicht mehr existieren, die ihre Familien verloren. Und die Zahl ist noch bedeutend höher.

Am Ende seines Berichtes schreibt Mordechai, wie der Völkermord sich entwickelte, beispielhaft am Vorgang des Angriffs auf das al-Shifa Krankenhaus vom 18. März bis 1. April. Besuchen Sie den Originalbericht, falls Sie die Originalquellen sehen wollen. Hier eine Übersetzung:

Die zweite israelische Invasion des al-Shifa-Krankenhauses Mitte/Ende März ist eine große, aber einzigartige Operation, die in mehrere Abschnitte dieses Dokuments passt. Der folgende Abschnitt geht näher auf dieses besondere Ereignis ein, um hervorzuheben, wie diese Operation die oben diskutierten Themen widerspiegelt. Mitte/Ende März führte die IDF eine weitere Militäroperation im al-Shifa-Krankenhaus durch. Frühe Berichte aus dem Gazastreifen behaupteten, die IDF hätten etwa 150 junge Männer getötet oder hingerichtet. Eine NGO erhielt Zeugenaussagen über systematische Verbrechen, darunter vorsätzliche Tötungen und außergerichtliche Hinrichtungen sowie willkürliche Inhaftierungen von etwa 400 Personen und Folterungen von Anwohnern und Patienten.

Nachdem die IDF eine Collage mit Bildern von 358 mutmaßlich inhaftierten Terroristen aus dem al-Shifa-Krankenhaus veröffentlicht hatten, stellte eine NGO fest, dass die Anzahl der Bilder geringer war (248), dass die Collage 52 Duplikate enthielt, und identifizierte 11 Porträts in der Collage namentlich als Mitarbeiter des Gesundheitswesens.

Mehrere Ärzte und andere Gesundheitsfachkräfte wurden getötet oder hingerichtet, darunter auch ein Apotheker, der vor den Augen der Patienten hingerichtet wurde. Menschen, die entkamen, machten ähnliche Aussagen, wie etwa ein junger Mann, der erzählt, IDF-Soldaten schossen auf Häftlinge in seiner Umgebung und töteten mehrere von ihnen sowie seinen Vater und seinen Bruder. Aufnahmen von freigelassenen Häftlingen zeigen diese in Unterwäsche. Einige der freigelassenen Häftlinge saßen in Rollstühlen. Ein neben al-Shifa gelegenes Krankenhaus (al-Helu) wurde bei der Operation bombardiert, wobei auch Patientenzimmer getroffen wurden. Ein Augenzeuge behauptete, er habe etwa viermal gesehen, wie Gruppen von drei bis zehn Häftlingen in das Krankenhausgebäude gebracht wurden. Dann waren Schüsse zu hören, und die Soldaten gingen, um eine weitere Gruppe von Häftlingen zu bringen; andere Augenzeugen berichteten von ähnlichen Ereignissen und Hinrichtungen. Personen, die nicht wie angeordnet das Gebiet verlassen wollten, wurden als Verdächtige betrachtet und getötet. Andere Augenzeugen gaben an, dass sie sich tagelang nicht bewegen und weder Nahrung noch Wasser bekommen konnten.

Die ersten Nachforschungen einer Nichtregierungsorganisation ergaben Beweise für die Hinrichtung von 13 Kindern sowie dafür, dass über 25.000 Zivilisten gezwungen wurden, ihre Häuser in der Nähe von al-Shifa zu verlassen. Sie schätzte, dass die IDF über 1.200 Wohneinheiten in der Gegend zerstört und in Brand gesteckt hat. Mehrere übereinstimmende Zeugenaussagen zeigen auch, dass die IDF Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzte. Israelische Filmaufnahmen aus al-Shifa zeigen, dass die IDF das Krankenhaus zu einem provisorischen Operationszentrum gemacht hat, mit weitreichender Zerstörung und gefesselten und mit verbundenen Augen inhaftierten Palästinensern entlang der Flure. Zivilisten, die in der Nähe des al-Shifa-Krankenhauses lebten, blieben tagelang ohne Nahrung und Wasser. Einer Augenzeugin zufolge war sie eine von 65 Familien, die die IDF aus ihrem Gebäude zwang. Anschließend verbrannte die IDF ihre Kleidung und das Gebäude, in dem sie lebten. Andere Gebäude und Zivilisten wurden angeblich ebenfalls niedergebrannt. Durch die Aktionen der IDF saßen über 240 kranke und verletzte Patienten etwa eine Woche lang im Krankenhaus fest, ohne Zugang zu Nahrung, Medikamenten oder Behandlung. Ärzte, die sich während der Belagerung in al-Shifa aufhielten, berichteten von ihren extremen Erfahrungen. Mindestens 22 Patienten starben aufgrund von Sauerstoff-, Nahrungs- und Wassermangel.

Nachdem die IDF al-Shifa schließlich verlassen hatten, wurden inmitten der großflächigen Zerstörung des Krankenhauses Hunderte von Leichen gefunden. Dutzende oder sogar Hunderte von Leichen wurden in provisorischen Gräbern und Massengräbern verwesend im Boden gefunden, einige von ihnen mit Handschellen gefesselt, was auf Hinrichtungen schließen lässt.

Eine unabhängige Forschungsagentur mit akademischer Ausrichtung fand Beweise dafür, dass die Leichen der während dieser Invasion Getöteten mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht wurden. Eine NGO behauptete, dass auf der Grundlage vorläufiger Berichte über 1.500 Palästinenser getötet, verletzt oder vermisst wurden. Frauen und Kinder machten die Hälfte der Opfer aus. Hunderte von Leichen wurden gefunden, darunter einige verbrannte und andere mit abgetrennten Köpfen und Gliedmaßen. Die Direktoren und Ärzte des Krankenhauses erklärten, dass das Krankenhaus aufgrund der Zerstörung außer Betrieb gesetzt worden sei, und nannten gleichzeitig viele ihrer Kollegen, die getötet, festgenommen und vertrieben worden seien. Trotz zahlreicher gegenteiliger Beweise behauptete der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, dass kein einziger medizinischer Mitarbeiter oder lokaler Patient verletzt worden sei. Israels ehemaliger Premierminister behauptete auch, dass kein einziger Zivilist getötet worden sei, was „beispiellos in einem Häuserkampf“ sei.

Ein Sprecher der IDF behauptete auf ihrem offiziellen Twitter-Konto, dass „200 Terroristen eliminiert“ und mehr als 500 Palästinenser festgenommen worden seien. Doch als die IDF kurz vor ihrer Abreise internationale Journalisten in das Krankenhaus brachte, schätzte der lokale IDF-Sprecher die Zahl der im Verlauf der zweiwöchigen Kämpfe getöteten palästinensischen Kämpfer auf 40, während ein Kommandoführer die Zahl auf „einige Dutzend“ schätzte. Ein Untersuchungsbericht stellte fest, dass die meisten der getöteten und festgenommenen Menschen Mitarbeiter des zivilen Zweigs der Regierung waren – Menschen, die beim Zivilschutz, der Polizei, dem Innenministerium usw. arbeiteten und alle nach al-Shifa kamen, um ihre Gehälter abzuholen.“[29]

Jüdische Dissidenten

Es gibt viel mehr jüdische Menschen, welche die zionistische Apartheid vehement ablehnen. Aber wenn in Deutschland davon etwas berichtet wird, dann höchstens einmal von 35.000 ultraorthodoxen Israelis, die sich irgendwo im Ausland versammelt hatten, um die israelische Regierung zu kritisieren. Solche Menschen können leicht als „seltsame Außenseiter“ dargestellt werden. Normale, liberale Juden dagegen, werden kaum erwähnt. Deshalb hatte ich in meinem Buch[30] solchen Menschen ein ganzes Kapitel gewidmet.

Mitte Juni 2024 war einer von Ihnen, der jüdische Theologe Marc H. Ellis im Alter von nur 71 Jahren verstorben. Aus dem Grund möchte ich aus seinem Nachruf durch einen anderen Gegner des Zionismus, Adam Horowitz berichten[31]. Für weitergehende Quellenrecherche benutze der Leser bitte den Originalartikel.

Der Name der Kolumne „Exile and Prophetic“[32] verweise auf ein großes Thema in Marcs Arbeit: den Kampf zwischen dem Imperium und dem Prophetischen im zeitgenössischen jüdischen Leben.

Für Marc sei das Prophetische, die Herausforderung der Macht, die wahre Bedeutung des Judentums. Sein Glaube an eine jüdische Besonderheit stand dem des Autors gegenüber, der eher einen säkularen Glauben an die Universalität des Aufrufs zur Gerechtigkeit habe. Und doch habe Ellis darauf beharrt, dass es dieser prophetische Imperativ sei, mit dem die Juden in einzigartiger Weise zu ringen hätten, insbesondere in der heutigen Zeit mit dem Aufkommen und der Vorherrschaft des Zionismus. In seiner ersten Kolumne für Mondoweiss habe er geschrieben: "Das Prophetische ist unser Eingeborenes. Es explodiert direkt vor unseren Augen."Dies sei die Geschichte gewesen, die er in den Jahrzehnten seiner Arbeit erzählt hat.

Für Marc, so der Autor wurde der wahre Kern des Judentums auf dem Altar des Zionismus geopfert, oder wie er es oft nannte, das konstantinische Judentum, die giftige Verbindung von Religion und Staatsmacht.

„Wenn Sie ihn jemals sprechen gesehen oder seine Schriften gelesen haben, kennen Sie wahrscheinlich seine Vision, in der er sich vorstellte, wie ein Apache-Hubschrauber während eines Sabbat-Gottesdienstes aus einer Thora-Arche fliegt. Wie Sie sich vorstellen können, ist seine Arbeit heute aktueller denn je.“[33]

Der Autor erwähnt dann einen Artikel, der vor 10 Jahren erschienen war, und den Titel trug: „Burning Children" (Brennende Kinder). Darin war der Verstorbene zu einem der großen Themen seiner Arbeit zurückgekehrt - wie das amerikanisch-jüdische Leben und die Theologie durch die Erfahrung des nationalsozialistischen Holocausts und die Herausforderung, die die jüdische Unterdrückung in Palästina für diese Weltsicht darstellt, geprägt wurden. In dem Artikel bezog er sich auf Rabbi Irving Greenberg, der die jüdische Theologie in den USA nach dem Holocaust mitgestaltet hat. Dann wird Ellis zitiert:

„In einem Aufsatz von 1974 schrieb Rabbi Greenberg zum ersten Mal über die brennenden Kinder des Holocausts als Herausforderung für die jüdische Zukunft. Ich habe diese Passage oft zitiert:

    ‚Nach dem Holocaust sollte keine Aussage, weder theologisch noch anderweitig, gemacht werden, die in Gegenwart der brennenden Kinder nicht glaubwürdig ist.‘“[34]

Ellis berichtet dann, wie die Beschwörungen des Rabbis in Erinnerung gerufen wurden, als er während des ersten palästinensischen Aufstandes 1988 und 1989 palästinensische Krankenhäuser besucht hatte. Dort hatte er Palästinenser jeden Alters gesehen, vor allem aber Jugendliche, die von israelischen "Gummigeschossen" getroffen worden waren. Einige kämpften um ihr Leben. Andere waren bereits hirntot. Er besuchte die Eltern und Geschwister der Verletzten. Über den Betten seien Märtyrerfotos der Kinder zu sehen gewesen, eingerahmt von Kefiyas.

Nachdem er die Krankenhäuser verlassen hatte, habe er ein Gedicht über seine Erfahrungen geschrieben. Und dabei Rabbi Greenbergs eindringliches Wort über brennende Kinder benutzt, um die Erfahrungen in den Krankenhäusern auszudrücken. In dem Gedicht stellte er die Frage, ob diese palästinensischen Kinder nicht wie die Kinder des Holocausts ebenfalls verbrannt wurden. Er habe das Gefühl gehabt, dass die palästinensischen Kinder, die er sah, in vielerlei Hinsicht "die eigenen" Kinder waren. Als Jude habe er gewusst, dass ihre „Verbrennung" die Verantwortung der Juden war.

Auch wenn Rabbi Greenberg dies nicht beabsichtigt habe, sei seine Aussage zum Holocaust auf die Palästinenser ausgeweitet worden, die "brennen", diesmal durch die Hand von Juden. Welche theologische Erklärung könnte man über Gott abgeben, die für die brennenden Kinder des Holocaust - und für Palästina - einen Sinn ergebe?

Und er beendete den Artikel, der 2014 geschrieben wurde:

„Juden sind in der Tat durch die Geschichte gezüchtigt - durch den Holocaust und jetzt durch Palästina. Denn in Gaza brennen gerade überall Kinder.“[35]

Horowitz fährt dann fort zu erklären, dass er bei der Vorbereitung des Artikels oft an Marc gedacht, und sich die Diskussionen vorgestellt habe, die sie gerade jetzt geführt hätten. Wie könne man nicht trauern und wütend sein über das unvorstellbare Verbrechen, Kinder zu verbrennen, wenn man Reem Hamadaqas erschütternde Schilderung des israelischen Angriffs gelesen hat, bei dem 14 Mitglieder ihrer Familie getötet wurden, oder wenn man die wichtigen Berichte von Tareq Hajjaj über das Massaker im Flüchtlingslager Nuseirat gelesen hat. In diesem Bericht hatte der 11-jährige Tawfiq Abu Youssef gegenüber Mondoweiss erklärt: "Ich blieb stundenlang unter den Trümmern. Ich habe nicht einen Moment daran gedacht, dass ich überleben und das Leben wiedersehen könnte. Ich hatte den Tod genug erlebt, als ich unter den Trümmern lag. Das war der Tod." Horowitz erklärt sich vorstellen zu können, dass Marc diese Geschichten heraufbeschwören würde, um zu zeigen, dass der Kampf gegen das Imperium nach wie vor von zentraler Bedeutung ist, weshalb die Unterdrückung, der Juden selbst in den USA ausgesetzt sind, immer weiter zunimmt.

„Er wäre auch der erste, der darauf hinweisen würde, dass das Prophetische, auch wenn es geschwächt ist, sich weigert, sich zu unterwerfen. Ich weiß, dass er auf Anna Rajagopals vernichtende Anklage des Diskurses über ‚jüdische Werte‘ energisch reagiert hätte, und trotz der überwältigenden Umarmung des ‚Empire-Judentums‘ durch die jüdische Gemeinschaft würde er diejenigen ermutigen, die einen anderen Weg in die Zukunft einschlagen.   

Ein Moment mit Marc, den ich nie vergessen werde, war ein Gespräch, das er und ich vor Jahren führten, als ich einen seiner Artikel redigierte. Er sagte mir, ob wir es wüssten oder nicht, unsere Arbeit bei Mondoweiss dokumentiere das Ende der jüdischen ethischen Geschichte. Ich war damals beeindruckt von der Kraft dieser Aussage und bin es heute noch. Wenn ich über Marcs Tod nachdenke, ist das keine Verantwortung, die ich auf die leichte Schulter nehme.“

Es gibt tausende von Stimmen, die ähnlich zu denen von Horowitz und Ellis klingen. Aber sie finden den Weg nicht in die Massenmedien, oder gehen spätestens im Tsunami der israelisch dominierten Propagandabeiträge unter.

 



[2]Am 18. Juni wurde z.B. eine Aktualisierung von Mordechai veröffentlicht: https://www.academia.edu/112967602/Bearing_Witness_to_the_Israel_Gaza_War_updated_to_18_June_2024_

[3]Ebd.

[4]Ebd.

[5]Ebd.

[10]https://t.me/MOHMediaGaza/5224 ; Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind 72 % der Todesfälle Frauen und Kinder. Es zählt die Todesfälle durch Identifizierung der Leichen (17.624 in diesem Bericht), und da die Verbindungen zum Norden unterbrochen sind, werden "zuverlässige Medienquellen" (ohne nähere Angaben), für die anderen (14.602 in diesem Bericht) herangezogen. Die Zahl von 58% ergibt sich aus der Verteilung der tatsächlich gezählten Todesfälle. Das Ministerium erklärt nicht die Diskrepanz.

[12]Ebd.

[14]Ebd.

[15]Ebd.

[17]Ebd.

[18]220 https://thedocs.worldbank.org/en/doc/14e309cd34e04e40b90eb19afa7b5d15-0280012024/original/Gaza-Interim-Damage-Assessment-032924-Final.pdf 

221 https://www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-192 ;

https://www.emro.who.int/images/stories/Sitrep_-_issue_27.pdf

222 https://www.youtube.com/watch?v=REnN_dLtrLA

223 https://www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-reported-impact-day-192

224 https://www.emro.who.int/images/stories/Sitrep_-_issue_27.pdf

225 https://www.emro.who.int/images/stories/Sitrep_-_issue_27.pdf

226 https://www.ochaopt.org/content/hostilities-gaza-strip-and-israel-flash-update-86

227 https://www.who.int/news/item/21-12-2023-lethal-combination-of-hunger-and-disease-to-lead-to-more-deaths-in-gaza ; Anfang Januar war das Verhältnis in UNRWA Flüchtlingslagern von Toiletten zu Flüchtlingen 1 zu über 486. https://www.unrwa.org/resources/reports/unrwa-situation-report-59-situation-gaza-strip-and-west-bank-including-east-Jerusalem ; Mehr Details:

https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Gaza_Strip_Acute_Food_Insecurity_Feb_July2024_Special_Brief.pdf (Seiten 22-23).

228 https://www.ynet.co.il/news/article/r1zlcnoga

229 https://www.globes.co.il/news/article.aspx?did=1001462900

230 https://policy-practice.oxfam.org/resources/inflicting-unprecedented-suffering-and-destruction-seven-ways-the-government-of-621591/

231 https://www.msf.org/msf-briefing-gaza-un-security-council

232 https://www.msf.org/msf-briefing-gaza-un-security-council

233 https://www.oxfam.org/en/press-releases/israel-government-continues-block-aid-response-despite-icj-genocide-court-ruling ;

https://policy-practice.oxfam.org/resources/inflicting-unprecedented-suffering-and-destruction-seven-ways-the-government-of-621591/

234 https://www.nytimes.com/2024/03/18/world/middleeast/gaza-famine-report-starvation.html ;

https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Gaza_Strip_Acute_Food_Insecurity_Feb_July2024_Special_Brief.pdf

235 https://www.theguardian.com/commentisfree/2023/dec/29/health-organisations-disease-gaza-population-outbreaks-conflict 236 https://gaza-projections.org/gaza_projections_report.pdf

 

[23]Bearing Witness to the Israel-Gaza War – Lee Mordechai, Historian and Israeli citizen. S.31

[24]Ebd. S. 32

[25]Ebd. S. 35

[27]Bearing Witness to the Israel-Gaza War – Lee Mordechai, Historian and Israeli citizen. S.36

[28]Ebd. S. 37

[29]Ebd. Seiten 51-53

[34]Ebd.

[35]Ebd.