Antisemitismus – das Totschlagargument (08.05.2025)

Als Antisemitismus wird im Jahr 2025 alles diffamiert, was irgendwie das siedlerkoloniale Projekt Israel, seine Apartheid oder den Völkermord in Gaza kritisiert. Wer genau sind die Semiten, gegen die sich Antisemitismus richten könnte?

Ob Richter, Staatsanwälte oder einfach UN-Beobachter, alles Antisemiten, wenn sie es wagen, an Israel die gleichen Maßstäbe anzulegen wie an alle anderen Länder der Welt. Ja sogar die UN als Ganzes wird als „antisemitisch“ diffamiert. Gemeint ist, dass all diese Vertreter von Menschenrechten und Völkerrecht den jüdischen Menschen einen zweiten Holocaust verursachen wollen. Was natürlich Schwachsinn ist, genauso wie der ganze Begriff „Antisemitismus“, denn er trifft gar nicht auf die Siedler Israels in Palästina zu. Und das kann man sogar schon im sicher nicht „antisemitischen“ Wikipedia nachlesen.

Antisemitismus, dem Begriff des Wortes folgend, wäre eigentlich die Gegnerschaft zu Semiten. Nun sagt aber schon Wikipedia, dass unter Semiten nicht „Juden“ gemeint sind, sondern

„Als Semiten werden (historische) Völker bezeichnet, die eine semitische Sprache sprachen. Semitische Sprachen sprechen heute insbesondere Araber, Israelis, Aramäer, Malteser sowie mehrere Sprachgruppen in Äthiopien und Eritrea.“

Die Bezeichnung „Antisemiten“ gegen jene anzuwenden, die den Völkermord an Semiten (Palästinensern, Libanesen, Jemeniten …) anprangern, könnte also gar nicht falscher sein.

Und nun gehen wir der Frage nach, ob die Siedler Israels überhaupt unter den Begriff eines „semitischen Volkes“ fallen.

Israels Aufgabe, so die Idee des Zionismus findet sich in der Idee des „Einsammeln von Exilanten.

„Der jüdische Charakter des Staates wird auch im Abschnitt der Erklärung deutlich, in dem Israel als Staat der jüdischen Einwanderung – Alija – und der „Sammlung der Verbannten“ definiert wird. Dieses Prinzip wurde im Rückkehrgesetz, das zwei Jahre später (1950) verabschiedet wurde, rechtlich und praktisch verankert.“

Dies basierte auf dem Mythos, dass die Vorfahren aller Juden aus dem Levante im siebten Jahrhundert nach Christus vertrieben worden seien. Historische und genealogische Beweise wurden dann angeführt, bei dem Versuch, die gemeinsame Abstammung nachzuweisen. Im Prinzip war es eine zionistische Rassenwissenschaft, die den Bedürfnissen des politischen, nationalistischen Projekts angepasst wurde. Und so pflegten konventionelle zionistische Historiker die Behauptung, dass alle Juden eine gemeinsame genetische Abstammung aus der Levante hätten.

Diese Theorie versuchte, europäische (ashkenasi) und mediterrane (sephardische) Juden mit jenen der Levante zu verknüpfen. Es wurde behauptet, dass jene, die nach der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer aus Palästina vertrieben wurden, in das Exil entlang des Rheins und in andere Teile Europas gegangen wären. Das Weltjudentum wurde im Laufe des 21. Jahrhunderts auf 13 Millionen Mitglieder geschätzt, davon 5,7 Millionen in den USA, 4,7 Millionen in Israel, aber alle sollen angeblich biologisch mit den Vorfahren in der Levante verwandt sein. Als Auswirkung könnte gesagt werden, dass die europäischen Juden in die Heimat ihrer Vorfahren zurückkehren“.

Dieser ‚Konsens‘ unter den zionistischen Historikern wurde jedoch im 20. Jahrhundert ernsthaft unterminiert. Professor Sholomo Sand ging in seinem Buch The Invention of the Jewish People der früheren Idee nach, dass palästinensisch-arabische Dorfbewohner von den jüdischen Bauern abstammten. Dies war von den frühen Zionisten David Ben Gurion und Chaim Weizmann vorgeschlagen worden, als sie mit arabischen Palästinensern vor der Gründung des Staates Israel, gemeinsame Sache machten. Aber Sand konnte kaum Beweise dafür oder für das eines „kollektiven Exils“ finden. Er ging dann dazu über zu argumentieren, dass europäische Juden höchstwahrscheinlich Nachkommen jener Menschen seien, die das Ergebnis von Massenbekehrungen im Nordosten der Türkei, Europas und Nordafrikas waren. Diese Erklärung wird von vielen Historikern unterstützt, die beobachtet hatten, dass Millionen Juden in den weit entlegenen Teilen des römischen Imperiums gelebt hatten, und die die große Mehrheit außerhalb von Judäa darstellten. Judentum war auch ein Glauben, der „in den Jemen, nach Äthiopien, Indien und China“ exportiert wurde. Über einige von ihnen entwickelte sich der Mythos der „verloren gegangenen Stämme.

Die „Rheinland Theorie“ versuchte dann, die Verbindung zwischen europäischen Juden und denen in Palästina zu erhalten, ihr wurde jedoch durch die „Khazar Theorie“ widersprochen, die von einer Massen-Konversion im Kaukasus ausging. Andere Gründe für die noch weiter verbreiteten Ursprünge europäischer Juden ziehen genetische, linguistische und dokumentatorische Beweise heran. Das Judentum, so scheint es, war früher weitaus missionarischer als es heute ist. Beweise für „massenhafte Konversion“ unterminieren den Anspruch der „gemeinsamen Ahnen“-Theorie und unterstützen die Sichtweise, dass Judentum (wie das Christentum) sich mehr als Religion denn durch rassische Migration verbreitete.

Eran Elhaik benutzte wissenschaftliche Methoden um den geografischen Ursprung von Jiddisch, der Sprache der aschkenasischen Juden zu erforschen. Seine Ergebnisse beziehen sich auf einige gemeinsame genetische Anomalien von iranischen und aschkenasischen Menschen, die, was genetisch bewiesen wurde, aufzeigen, dass aschkenasische DNA eine Mischung der DNA von Juden im Iran, in Griechenland und dem Nordosten der Türkei war.

Noch dramatischer ist, dass andere zu dem Schluss kamen, dass zum Zeitpunkt der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70 nach Christus, mehr als 90% der Juden außerhalb Judäas gelebt hatten, hauptsächlich im südlichen Europas. Es wurde bewiesen, dass eine DNA-Analyse der mütterlichen Linie (mithilfe von sogenannten Haplogruppen, die wie genetische „Familienzweige“ sind) zeigte, woher die mitochondrialen DNA von aschkenasischen Juden hauptsächlich stammte.

Mitochondriale DNA wird nur von der Mutter vererbt, und die Analyse deutete auf die geografischen oder ethnischen Ursprünge dieser Linien hin. Einfach gesagt: Es wurde untersucht, aus welchen Regionen oder Gruppen die Vorfahren der aschkenasischen Juden auf der mütterlichen Seite kamen. Was zu dem Schluss führte, dass sie

„…Ahnen im prähistorischen Europa haben, eher als im Nahen Osten oder im Kaukasus … deshalb wurde die große Mehrheit der aschkenasischen mütterlichen Linien nicht aus dem Levante eingebracht, wie allgemein angenommen, ebenso wenig aus dem Kaukasus, wie manchmal vorgeschlagen, sondern innerhalb Europas assimiliert.

Dieser Beweis einer größeren Diversität von Juden außerhalb des Levante ist deshalb sehr stark. Dennoch war vielleicht die zionistische Anstrengung eine loyale Rassen-„Wissenschaft“ zu konstruieren, die ihr zionistisches Projekt untermauern könnte und die Herrschaft des „Rechts auf Rückkehr“ noch signifikanter. Diese Anstrengungen privilegieren Juden, auch ohne jeden Anschein von Wissenschaftlichkeit, schließen palästinensische Araber aus. Letztere werden oft einfach als unzivilisierte Menschen ohne Kultur oder Recht beschrieben. Es ist eine furchtbare Ironie, dass jüdische Menschen, die so sehr unter Rassentheorie und genozidalen Praktiken in Europa gelitten hatten, nun selbst Rassenmythen begründen, um ihr koloniales Projekt zu rechtfertigen.

Die Rassen-„Wissenschaft“ wurde für viele Zionisten zur Besessenheit, so wie für die Verfolger der Juden im Nazi-Deutschland. Eine besondere Art von Mensch mit speziellen Rechten und einer historischen Mission, war immer eine daraus resultierende Lehre.

Heute sind diejenigen, die am wütendsten gegen Kritiker dieser Rassen-„Wissenschaft“ agitieren sowohl orthodoxe Zionisten als auch Neo-Nazis. So lehnte der ehemalige Ku Klux Klan-Anführer David Duke zum Beispiel die Idee ab, dass Judentum religiös und nicht in der Rasse begründet sei. Er unterstützte den Konsens der Zionisten, der die Idee aufrechterhält, dass Juden eine separate Rasse seien.

Eine solche „Wissenschaft“ dient dem rassistischen Ziel, jene außerhalb der speziellen Klasse zu diskriminieren. Deshalb sehen wir erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen dem essenzialistischen Rassismus, z.B. des Nazi-Ideologen Julius Streicher und des zionistischen Historikers Benzion Netanjahu, des Vaters des heutigen Ministerpräsidenten und vom IStGH gesuchten vermutlichen Kriegsverbrecher. Sie erschufen vergleichbare Klassen von überlegenen und unterlegenen Menschen, während sie ihre ‚rassischen‘ Feinde dämonisieren. In beiden Fällen legte diese Ideologie die Grundlage für ethnische Säuberungen und Praktiken des Völkermordes, wie wir ihn gerade in Gaza erleben.

Streicher erklärte z.B. „Als Kind trat der erste Verdacht in mein Leben, dass die Essenz des Juden eine eigenartige war … Wer waren diejenigen, die Geld verliehen? Es waren jene, die durch Christus selbst aus dem Tempel getrieben worden waren … [sie] arbeiteten nicht, sondern lebten von Betrug … Der Gott der Juden ist der Gott des Hasses“

Im Vergleich dazu die Äußerung des zionistischen Historikers Benzion Netanjahu: „Sie haben keinen Respekt für irgendein Gesetz … In einer Wüste kann er tun was er will. Die Tendenz zum Konflikt ist die Essenz des Arabers. Er ist ein Feind durch sein Wesen … Es ist unerheblich, welcher Art der Widerstand ist … welchen Preis er bezahlen wird. Seine Existenz ist die des ewigen Krieges.“

Im Prinzip ist aber der jüdische Staat unfähig, klar zu definieren, wer denn in seinem Sinn Jude ist. Das hatte zu signifikanten internen Spannungen geführt, auch wenn zum Zweck der Vergabe der Staatsbürgerschaft diese Aufgabe der Überwachung an orthodoxe Rabbis übergeben wurde. Die jüdische Bevölkerung Israels soll, Stand 2001, aus ca. 47% europäischen, 30% sephardischen Anteilen und zu 23% aus dem Levante kommen, wurde also 2001 durch europäische Juden dominiert.

Darüber hinaus gibt es eine große Gruppe von ca. einer Million russischer und ukrainischer Migranten, die nach der großen Depression in Russland in den 1990er Jahren zugewandert waren. Sie waren von der Elite Israels gerne aufgenommen worden, da sie halfen, das Zahlenspiel mit den jüdischen Arabern zu gewinnen, obwohl es so schien, dass viele von ihnen Wirtschaftsmigranten waren.

Bei ihrer Ankunft wurden ca. die Hälfte von ihnen nicht als jüdisch angesehen, weshalb sie sich einem Konversionsprozess unterziehen mussten, als Voraussetzung für den Erhalt der Staatsbürgerschaft. Was ebenfalls dem Konzept einer Ethnie „Judentum“ widerspricht.

Aber der Druck nicht-jüdischer Immigranten zusätzlich zur wachsenden arabischen Population in Palästina, sollte den Druck auf Israel erhöhen, sich zwischen einem „jüdischen Staat“ und einer Demokratie zu entscheiden. Und Brownfeld war nicht der einzige Wissenschaftler, der dadurch erklärte, dass „jüdischer Staat“ und Demokratie sich ausschlossen.

Zionisten versuchten oft, das Judentum an sich für die zionistischen Ziele einzusetzen und Kritiker des Rassismus zu beschuldigen, wenn sie in Opposition zu Israel stehen. Das erzeugte eine eigenartige Logik. So behauptete zum Beispiel Julie Nathan, Für Forschung verantwortlicher Beamter des Exekutivrats der Juden Australiens: „Zionismus kann nicht vom Judentum losgeslöst werden…Zionismus ist eine intrinsische Komponente des Judentums“.

In dieser Sichtweise der Welt bedeutet jeder Ruf nach dem Ende des „kolonialen Apartheidstaates“ die „ethnische Säuberung“ jüdischer Menschen. Deshalb wird die Ablehnung des angeblichen „Existenzrechts“ des jüdischen Apartheidstaates vollkommen unberechtigt als genozidale Bedrohung der jüdischen Menschen dargestellt.

Die ethnischen Säuberungen in Palästina haben sich im Laufe der Zeit verändert, aber ihre Ziele blieben immer die gleichen. Der oft zitierte „Yinon Plan“ von 1982 war nicht so sehr ein Plan denn eine Wiederholung der früheren zionistischen Ambitionen, ein „Groß-Israel“ (Eretz Israel) zu erschaffen, einen jüdischen Staat, der sich ausdehnt „von den Ufern Ägyptens [den Ufern des Nils] bis zum Euphrat“ (Seite 711).

Oded Yinon, ein hochrangiger Berater Israels, schrieb von einer Krise der Zivilisation des Westens während des Kalten Krieges, bei der Israel seinerseits nur „als Staat überleben konnte“, wenn es die „enormen Chancen“ ergriffe und sein Staatsgebiet zulasten einer zerstrittenen „moslemisch-arabischen Welt“ ausweitete. Von Letzterer behauptete er, sie sei gebaut „wie ein provisorisches Kartenhaus, von Ausländern zusammengestellt“. Er erkannte nicht, dass Israel ganz entschieden von Ausländern erschaffen worden war.

Der „Allon Plan“, der die Parameter bestimmte, um die besetzte Westbank zu absorbieren, wurde dem Kabinett Israels im Nachgang des zionistischen Sieges im Krieg von 1967 vorgelegt. Arbeitsminister Yigal Allon widersetzte sich der Idee, das Palästinenserproblem an Jordanien zu delegieren, weil er der Meinung war, dass das Königreich kein zuverlässiger Partner sein konnte. Stattdessen, so schlug er vor, sollte Israel beginnen, in der Westbank einen von Israel kontrollierten Streifen entlang des Jordans zu errichten, in dem permanente jüdische Kolonien (Siedlungen) gebaut werden sowie Armeebasen, die strategisch überall auf dem Gebiet der Palästinenser platziert würden.

Er sagte „das Letzte was wir tun dürfen, ist, einen Inch der Westbank zurückzugeben“. Seitdem hatte sich nichts an der Einstellung der Mächtigen in Israel geändert. Alle Verhandlungen waren nur zum Schein geführt worden, um „Besatzung“ als etwas „Vorübergehendes“ darstellen, was sie aber nie war.   

 Erstveröffentlichung: https://tkp.at/2025/05/08/antisemitismus-das-totschlagargument/