Das Recht des Stärkeren (14.11.2025)

Wann war eigentlich das Ende des Völkerrechts endgültig offensichtlich geworden?

Manche wundern sich, wie es sein kann, dass manche Länder in diesen letzten Jahren immer mehr andere Länder einfach mal so bombardierten, ohne dass es für sie Folgen hatte. Nun es gibt einen Zeitpunkt, den die meisten vermutlich übersahen, oder längst vergessen haben, das war der 14. April 2018. Ich war Zeitzeuge und will darüber berichten. Auslöser für diesen Artikel ist der Besuch des al-Nusra / ISIS / HTS-Terroristen al Jolani beim US-Präsidenten in Washington. Denn wer noch einen Rest von gesunden Menschenverstand besitzt, hatte spätestens an dem Tag begriffen, dass die Behauptung, Deutschland sei nicht gegen Syrien, sondern eben jenen Jolani in den Krieg gezogen, eine der vielen Unwahrheiten deutscher Politik war.

Das Imperium und seine Verbündeten glauben über dem Recht zu stehen.

Mit der Sicherheitsratssitzung des 14. April 2018 ging offiziell das Zeitalter zu Ende, in dem die Menschheit versuchte, das Zusammenleben auf Gesetzen und Regeln aufzubauen. Ab diesem Tag gilt wieder das Gesetz des Stärkeren, das Faustrecht. Eine Tyrannei, die sich an keinerlei Gesetze halten will, versucht seitdem nicht mehr versteckt, sondern ganz offen ihren Willen in der ganzen Welt durchzusetzen. Und Deutschland, das schon seine Unschuld im Kosovo-Krieg verloren hatte, „war nun auch wieder wer“ und dabei. Auch wenn man das dem deutschen Bürger damals noch nicht zumutete.

Am 14. April 2018 fand eine Dringlichkeits-Sitzung des UNO-Sicherheitsrates statt, als Reaktion auf den Angriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs mit 108 Raketen und Cruise-Missiles gegen Syrien. In dieser Sitzung verurteilten Russland und China die Verletzung der UNO-Charta durch die Aggressoren. Großbritannien rechtfertige die Luftangriffe als „humanitäre Intervention“, was jedoch ohne einen Sicherheitsratsbeschluss nur eine persönliche Ansicht Großbritanniens darstellt, nicht aber eine völkerrechtliche Legitimation.

 

Die US-Botschafterin bemühte sich erst gar nicht um eine legale Rechtfertigung. Der Angriff war angeblich eine Antwort auf einen (noch gar nicht untersuchten) Giftgasvorfall in Douma, als Strafe und Abschreckung, noch einmal Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen.

Abgesehen davon, dass Russland Beweise vorgelegt hat, die in keiner Weise im Westen bewertet und berücksichtigt wurden, dass a) kein Chemiewaffeneinsatz vorlag, sondern die Fotos und Videos gefälscht waren und b) Großbritanniens Geheimdienst die von diesem Land gegründeten und finanzierten White-Helmets gedrängt hatte, schnell den Vorfall zu inszenieren, ist selbst wenn der Vorfall stattgefunden hätte, dieser keine Rechtfertigung für einen Angriff, wie er stattfand.

Schon als im Jahr 2002 klar wurde, dass die USA eher eine Invasion von Den Haag vornehmen würden, als zuzulassen, dass ein einziger US-Amerikaner wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt wird, konnte man erkennen, dass für die USA nur der eigene Wille Gültigkeit hatte, nicht aber internationale Regeln und Gesetze.

Der Angriffskrieg gegen den Irak, die eigenwillige Erweiterung der UNO-Resolution und die daraufhin folgende Zerstörung Libyens sowie die Unterstützung von Terrorgruppen in Syrien sind weitere Beispiele, dass die USA jegliche internationale Regeln, die die friedliche Zusammenarbeit der Nationen sicherstellen sollen, ignorieren. Die Enthüllungen über Folter, Cyber-War-Anschläge und Bombardierungen nach Gutdünken in der ganzen Welt, „verdeckte Operationen“ in über hundert Ländern, alles blieb ohne Folgen, niemals wagte die Welt die USA für ihre Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen.

Das Ende des Völkerrechts

Und auch diesmal wird allenthalben relativiert in Deutschland. Da wird „Verständnis“ für das Verhalten aufgebracht, „Unterstützung“ zugesagt, und im schlimmsten Fall wird mit dem Zeigefinger gewackelt, „naja, so richtig legal ist das ja nicht, aber …“. Dabei wird übersehen, dass mit diesem Tag ganz offiziell die Welt in ein neues Zeitalter eingetreten ist.

Nicht mehr Gesetze und Regeln, sondern nur noch militärische Stärke, Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit schützen Staaten vor dem willkürlichen Angriff der Weltmacht, die ganz offen erklärt, die Welt regieren zu wollen.

Niemand ist vor der Willkür des Imperiums sicher: Saddam Hussein war ein Günstling der USA, wurde sogar bei seinem Giftgasangriff gegen den Iran unterstützt, die US-Marines fungierten während des Krieges sogar als „vorgeschobene Fluglotsen“ für irakische Angriffe, und Baschar al-Assad war einst ein geschätzter Kooperationspartner beim Projekt illegaler Foltergefängnisse der USA.

Deshalb werden Länder, die bisher glaubten durch Freundschaft mit den USA und internationales Recht sowie die UNO-Charta geschützt zu sein, von diesem Glauben zunehmend Abstand nehmen. Länder, die sogar versuchen sich unabhängig zu entwickeln und eigene Politik zu betreiben, für die wird die Stärkung ihrer militärischen Fähigkeit überlebensnotwendig. Heute Syrien, morgen Venezuela, übermorgen Bolivien, Iran und natürlich Russland und China.

Es ist unfassbar, mit welcher Leichtigkeit diese Entwicklung zu einer immer größeren Militarisierung der Weltordnung in Deutschland und der westlichen Welt allgemein als gottgegeben hingenommen wird. Selbst politische Gegner der USA beschwichtigen und erklären, der Angriff war für Trump notwendig, um sich des Drucks der Falken in den Reihen der Oligarchen des Landes zu entledigen. Gerade so, als ob Kriege aus innenpolitischen Gründen akzeptabel wären.

Auch die Rolle Russlands ist zweifelhaft. Wenn die Verurteilung des Angriffs durch den UNO-Botschafter Boliviens drastischer ausfiel als die Verurteilung durch den russischen Botschafter, muss man sich fragen, welche Rolle das Land spielte. Angeblich soll der größte Teil der Raketen und Lenkflugkörper durch die neu an Syrien gelieferte Kurzstrecken-Luftabwehr Panzir neutralisiert worden sein.

Es wurde berichtet, dass Bewohner von Damaskus über jede abgeschossene Rakete im klaren Himmel Syriens gejubelt hätten. Wenn die Angaben des russischen Verteidigungsministeriums, dass 60 bis 70 Prozent der Angriffe abgefangen werden konnten, stimmen sollten, wäre das ein Zeichen, dass Russland bewusst auf eine Eskalation verzichtete, gleichzeitig aber den Rüstungskunden der Welt eine Demonstration der Leistungsfähigkeit seiner Luftabwehrsysteme geben wollte.

Und als ob das Land diese Vermutung bestätigen würde, verkündete das Verteidigungsministerium Russlands, dass überlegt werde, fortschrittliche Luftabwehrsysteme wie das S-300 System an Syrien und andere Länder zu liefern, denen man bisher aus Rücksicht auf die USA eine solche Lieferung verweigert hatte.

Das hätte zum Beispiel zur Folge, dass Syrien nicht mehr nur die Raketen abschießen kann, die israelische Flugzeuge aus großer Distanz und aus fremdem Luftraum, zum Beispiel dem des Libanon, abfeuern, sondern die Flugzeuge selbst. Allerdings sollten sie dazu nie die Freigabe durch Russland erhalten.

Was ebenfalls zu diesem Zeitpunkt vermutet werden konnte, war das weitere Anwachsen von Nuklearmächten. Denn wer Atomwaffen bzw. Kernwaffen besitzt erhält ein größeres Abschreckungspotential, gerade in Nordkorea gut zu beobachten. Andererseits wird die mögliche Prolieferation von „Massenvernichtungswaffen“ dazu führen, dass noch mehr Angriffskriege zur „präventiven Verteidigung“ zu beobachten sein werden, wie zuletzt der 12-Tage-Angriffskrieg Israels und der USA gegen den Iran.

Nie wieder Krieg!

So wie im dunklen Mittelalter die Erkenntnisse der Antike verlorengingen, so gehen im 21. Jahrhundert die Erkenntnisse der Aufklärung und die aus den größten Kriegen des 20. Jahrhunderts verloren.

Letztendlich ist der große Konflikt nur aufgeschoben. Russland hat Zeit gewonnen, wird versuchen weitere Verbündete um sich zu sammeln, wird die eigene Wehrfähigkeit steigern und sich für die nach John J. Mearsheimer unausweichliche große Konfrontation Chinas mit den USA bereitmachen.

Imperien können auch friedlich aufgelöst werden

Die Implosion der Sowjetunion verlief ohne einen einzigen Krieg gegen äußere Feinde. Aber das Imperium USA ist offensichtlich nicht bereit, auf Gewalt zur Durchsetzung seiner Hegemonieansprüche zu verzichten. Genau wie große Philosophen voraussagten, wie Imperien handeln, wenn kulturelle und wirtschaftliche Hegemonie schwinden.

Und wer auf die Lösung des Problems durch einen wirtschaftlichen Kollaps hofft, muss sich sagen lassen, dass gerade, wenn die Verschuldung des Staates als unmöglich zurückzuzahlen angesehen wurde, stets große Kriege für eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme in den USA sorgten. Wobei Schulden ja Teil des Systems sind, und gar nicht zur Zurückzahlung gedacht sind, gemeint ist daher wenn das Vertrauen in dieses System schwindet, und die Belastung der Schulden zu groß wird, scheint sich Krieg für die Politiker als beste Lösung ihrer Probleme anzubieten.

Die Rolle Deutschlands

Auch Deutschland ist ganz offiziell in eine neue Ära eingetreten. Das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges im Grundgesetz, dessen Strafrechtsparagraf 2017 bereits abgeschafft beziehungsweise durch EU-Regeln ersetzt wurde, spielt nun auch offiziell keine Rolle mehr. Denn in mehreren Fällen war Deutschland maßgeblich an der Vorbereitung von Angriffskriegen, z.B. im obigen Fall gegen Syrienbeteiligt.

Denn wenn sich die von den USA geführte Koalition, an der sich auch Deutschland beteiligt, weigert, nach Besiegen der Terroristen das Land an die legitime Regierung zurückzugeben, war es eben KEIN Krieg gegen den Terror, sondern ganz einfach ein Angriffskrieg mit anschließender Besatzung. Und wenn die Fregatte Hessen der Bundeswehr den Schiffen der NATO, die auf dem Weg nach Syrien sind, Begleitschutz gibt, ist auch das die Vorbereitung eines Angriffskrieges.

Allerdings interessiert das mit dem „nie mehr Krieg von deutschem Boden“ sowieso längst niemanden mehr, was spätestens seit dem mit einer Lüge begründeten Jugoslawienkrieg hätte deutlich werden können.

Fazit

Seit 2018 sind nun einige Jahre vergangen, und Deutschland ist auf dem besten Weg auch wieder totalkriegstüchtig zu werden, weil kriegstüchtig ist man ja hier schon seit dem Kosovo-Krieg, und diversen anderen Kriegen, von denen kaum jemand in Deutschland weiß, wie tief das Land in Angriffskriege verstrickt war. Deutschland hat neben seiner Unschuld, nicht an Angriffskriegen teilzunehmen nun in Gaza auch seine Unschuld verloren, nicht an Völkermorden teilzunehmen, und die politische Führung kann stolz erklären, wieder „wer zu sein“. Und wieder einmal steht zu befürchten, dass die deutsche Gesellschaft für die Taten der politischen Führung einen hohen Preis bezahlen wird. Wenn wir Glück haben, wird es „nur“ die Deindustrialisierung und Verurteilungen durch internationale Gerichte oder Tribunale. Hoffen wir das Beste, denn offensichtlich sind die Bürger machtlos. Anders kann man das Ergebnis der Regierungsführung seit der letzten Bundestagswahl wohl nicht interpretieren.

Erstveröffentlichung:  https://tkp.at/2025/11/14/das-recht-des-staerkeren/