Der "Angriff"

 

Der „Angriff“

Eigentlich kann man es keinen Krieg nennen, wenn ein 1000fach militärisch überlegener Gegner, Israel, gegen eine international militärisch kaum unterstützte indigene Bevölkerung, die Palästinenser, kämpft, deren Land es seit Jahrzehnten besetzt hält und systematisch für Siedler aus der ganzen Welt in Besitz nimmt. Kann man es Krieg nennen, wenn ein paar tausend Rebellen mit leichten Waffen und Drohnen, in Selbstmordmissionen, in kleinen Gruppen weit hinter die feindlichen Linien dringen, teilweise mit Gleitschirmen, und dabei die mächtigste Armee der Region überrumpeln, den angeblich unschlagbaren Geheimdienst Mossad bloßstellen, und hunderttausenden von Soldaten entgegen traten? Aber der israelische Premierminister nannte es Krieg, also sollte man, wie immer, einen Blick in die Vorgeschichte dieses „Krieges“ werfen, der schon viel länger dauert.

Die Geschichte begann lange vor 1948, aber wir wollen hier zuerst kurz darauf eingehen, dass Palästina seit 1967, nach einem Angriffskrieg Israels, besetzt wurde. Dieser Krieg wird im Westen allgemein als „Verteidigung“ bezeichnet, wie jedes weitere Massaker und Angriffskriege, die folgten. Tatsächlich aber war er lange vorbereitet worden, und es ging nur darum, einen passenden Moment zu erwischen.

„Juni 1967, ein endloser Sechs-Tage-Krieg - 1967 war Israel nicht nur nicht von Zerstörung bedroht, sondern das Oberkommando hatte längst seine Pläne zur Eroberung des Westjordanlands, Jerusalems, des Gazastreifens, des Sinai und der Golanhöhen ausgearbeitet. Und sie setzten diese Pläne mit einem Staatsstreich gegen eine Handvoll Politiker um, die noch zögerten, einen Krieg zu beginnen.“[1]

Der Autor Sylvain Cypel, beschreibt 2017, was wirklich 1967 passiert war. Er beginnt damit zu erklären, dass zwei Tage nach dem Krieg das Narrativ, dass Israel seine Existenz verteidigt hätte, durch Arbeitsminister Levy Eshkol begründet worden sei. Er hatte erklärt: „Israels Existenz hing an einem seidenen Faden. Aber die Hoffnungen der arabischen Führer, uns zu vernichten, sind zunichte gemacht worden“.

Diese These - dass die Gefahr bestehe, dass Israel und sein Volk verschwinden könnten - war der Ursprung des „Präventivkrieges“, den der jüdische Staat gerade gegen seine arabischen Nachbarn geführt hatte. Nachdem sich Israels anfängliche Behauptung, die Ägypter hätten zuerst angegriffen, in Luft aufgelöst hatte, wurde die These von der „existenziellen Bedrohung“ zum ständigen politischen und diplomatischen Argument Israels, um seinen Angriff zu rechtfertigen, erklärt der Autor, und dies kann jeder anhand historischer und aktueller Äußerungen westlicher Politiker nachvollziehen.

Dass diese Aussage eine Lüge war, wird erstaunlicherweise durch die Protagonisten des Angriffs und der Besetzung Palästinas selbst, nur fünf Jahre nach dem Krieg erklärt. Mehrere israelische Generäle wiesen die Behauptung einer Bedrohung sogar energisch und öffentlich zurück.

„Den ersten Schuss gab der ehemalige stellvertretende Generalstabschef Ezer Weitzman ab: ‚Die Hypothese der Ausrottung wurde in keiner ernsthaften Besprechung in Betracht gezogen.‘ (Haaretz, 29. März 1972) So sprach ein Mann, der später Präsident von Israel werden sollte. Vier Tage später war Chaim Herzog an der Reihe, sich zu äußern. Er war ehemaliger Chef des militärischen Geheimdienstes und ebenfalls ein zukünftiger Präsident. ‚Es bestand keine Gefahr der Vernichtung. Der israelische Generalstab hat nie daran gedacht‘ (Maariv, 4. April 1972). Und schließlich brachte der Generalstabschef selbst, General Haim Bar-Lev, Nachfolger von Yitzhak Rabin in diesem Amt, die Botschaft auf den Punkt: ‚Am Vorabend des Sechstagekriegs wurde uns nicht mit Völkermord gedroht, und eine solche Möglichkeit kam für uns nie in Betracht.‘ (Ebd.)“

Trotzdem wiederholten Politiker fast aller Parteien im deutschen Bundestag am Tag der Schande, dem 17. Mai 2019, bei einer Aussprache im deutschen Bundestag die Lüge der „Selbstverteidigung“.

Aber zurück zum Artikel. Cypel schreibt, dass General Matti Peled, Chief Logistics Officer der jungen israelischen Armee, die Meinung dieser Generäle in radikalen Worten zusammenfasste:

“Die Behauptung, die an der Grenze versammelten ägyptischen Truppen könnten in irgendeiner Weise die Existenz Israels bedrohen, ist nicht nur eine Beleidigung für die Intelligenz jedes Menschen, der in der Lage ist, eine solche Situation zu analysieren, sondern vor allem eine Beleidigung für die israelische Armee.“ [2]

Und er habe hinzugefügt: „All das Gerede über die große Gefahr, in der wir uns befanden (...), wurde nie berücksichtigt, als wir unsere Berechnungen anstellten, bevor die Kämpfe begannen.“ Und Cypel weist darauf hin, dass Generäle, die „wir“ oder „unsere“ sagen, natürlich die Mitglieder des Generalstabes meinen.

Diese Erklärung stamme aus dem Jahr 1972, als die israelische Armee so über ihren Sieg von 1967 begeistert war, dass sie sich für unbesiegbar hielt. Aber auch die CIA war der Meinung, dass Israel niemals in existentieller Gefahr war. Der Artikel berichtet, dass John Hadden, der Leiter des CIA-Büros in Tel-Aviv, der Ansicht war, dass Israel im Falle eines Krieges mit seinen Nachbarn in sechs Tagen diesen Krieg gewonnen hätte. Und er war sich dessen ganz sicher. So erzählt vom Historiker Tom Segev.

Tatsächlich ging es bei dem Krieg, wie bei allen folgenden, darum, die Grenzen Israels auszudehnen. Und damit dieser erste Krieg erfolgreich war, wurde in einem Kapitel des Buches The Six-Day-War (Yael University Press (2017) des israelischen Historikers Guy Laron erklärt, dass er sechzehn Jahre lange geplant worden war. General Modechai Hod, der die ersten Angriffe gegen die ägyptische, syrische und jordanische Luftwaffe befohlen hatte wird mit den Worten zitiert: „Sechzehn Jahre lang hatten wir geplant, was in diesen ersten 80 Minuten geschah. Wir lebten mit diesem Plan, wir aßen mit ihm, wir schliefen mit ihm. Wir haben nie aufgehört, ihn zu verbessern.“

Das Kapitel des Buches, welche sich mit der Vorbereitung des Krieges beschäftigt, trägt den Titel (übersetzt) „Die Erweiterung der Grenzen Israels“.

„1955, ein Jahr vor der Suez-Operation, die mit den Franzosen und den Briten durchgeführt wurde erklärte Generalstabschef Moshe Dayan, dass es für Israel kein Problem sein würde, einen Vorwand für einen Angriff auf Ägypten zu finden. „Wir sollten bereit sein, den Gazastreifen, die entmilitarisierten Zonen [an der Grenze zu Ägypten und Syrien] und die Straße von Tiran zu erobern. . . Und wir sollten an einen dreistufigen Plan denken. In der zweiten Etappe werden wir den Suezkanal erreichen; in der dritten werden wir Kairo erreichen. Ob wir alle drei Etappen oder nur eine davon durchführen werden, hängt davon ab, wie die Kriegsziele definiert werden sollen. (…) Für Jordanien gibt es einen zweistufigen Plan: In der ersten Phase wollen wir die Linie von Hebron erreichen. Die zweite besteht darin, das restliche Gebiet bis zum Jordan einzunehmen.“[3]

Man wartete nur auf eine passende Gelegenheit. Und man war bereit, eine solche notfalls zu schaffen. Und diese Politik sollte die nächsten Jahrzehnte immer wieder umgesetzt werden.

Während der Warte-, und Planungszeit von 16 Jahren wurden auch schon Gesetze entwickelt, unter welchen die Palästinenser in der Besatzung leben sollten, und Soldaten wurden bereits als Richter und Staatsanwälte ausgebildet, Broschüren zur weiteren Information der Besatzungseinheiten gedruckt.

Manche Analysten erklären, dass der Angriff auf die palästinensische Bevölkerung schon 1948 mit der Nakba, der Ermordung und Vertreibung von Palästinensern aus dem Gebiet, welches Israel auf Grund eines Teilungsplans der UN für sich beanspruchte, begonnen hatte. Andere sprechen davon, dass mit den Terrorangriffen israelischer Milizen schon vor 1948 die Vertreibung begonnen hatte, um einen angeblich mono-ethnischen Staat rechtfertigen zu können.

Das Völkerrecht

Auf Grund des Angriffskrieges und der Besatzung wurde durch mehr als ein Dutzend UNO-Resolutionen der Widerstand auch der bewaffnete Widerstand legitimiert.

Die m.E. wichtigsten Resolutionen:

1.       UN-Resolution 37/43 (1982) bestätigt die "unveräußerlichen Rechte" des palästinensischen Volkes und aller Völker unter fremder und kolonialer Herrschaft auf Selbstbestimmung.

2.       UN-Resolution 3314 (1974) bestätigt das Recht aller "Völker unter kolonialer und rassistischer Herrschaft oder anderen Formen fremder Herrschaft" auf Widerstand und Unterstützung bei der Verwirklichung ihrer Rechte.

3.       Mit der Resolution A/RES/33/24 vom 29 November 1978, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Recht von kolonialisierten Völkern, und insbesondere Palästinensern bestätigt, sich mit „allen verfügbaren Mitteln, insbesondere auch dem bewaffneten Kampf“ zu widersetzen.

Und so gibt es insgesamt über 62 Resolutionen, welche versuchen, Israel auf den Pfad des Völkerrechtes zurückzuführen. Was aber mit jedem Jahr unwahrscheinlicher wird, da mit jedem Jahr die Maßnahmen, um die israelischen Grenzen zu erweitern, deutlicher werden.

Der 7. Oktober 2023 war insofern die Inanspruchnahme des Widerstandsrechts der Palästinenser. Wenn dabei Kriegsverbrechen begangen wurden, müssten diese untersucht und verfolgt werden. Aber von einem „Terrorakt“ zu sprechen, wie unisono koloniale Politiker und Medien behaupten, wird im Globalen Süden nur mit Kopfschütteln beantwortet.

Legitimer kriegerischer Akt des Widerstandes

Scott Ritter schreibt auf uncutnews.ch[4] auch genau darüber einen längeren Artikel und erklärt, dass die Aktionen der Hamas der erfolgreichste militärische Überfall des Jahrhunderts gewesen sei. Und er beginnt relativ früh auf die Kriegslügen Israels hinzuweisen.

„Das Problem mit den israelischen Behauptungen ist, dass sie nachweislich falsch oder irreführend sind. Nahezu ein Drittel der israelischen Opfer waren Militär-, Sicherheits- und Polizeibeamte. Außerdem hat sich herausgestellt, dass nicht die Hamas oder andere palästinensische Gruppierungen, sondern das israelische Militär selbst am 7. Oktober die meisten israelischen Opfer zu beklagen hatte. Kürzlich veröffentlichte Videos zeigen, wie israelische Apache-Hubschrauber wahllos auf israelische Zivilisten schießen, die versuchen, von der Supernova-Sukkot-Veranstaltung in der offenen Wüste in der Nähe des Kibbutz Re’im zu fliehen, wobei die Piloten nicht zwischen Zivilisten und Hamas-Kämpfern unterscheiden können. Viele der Fahrzeuge, die die israelische Regierung als Beispiel für die Niedertracht der Hamas angeführt hat, wurden von den israelischen Apache-Hubschraubern zerstört.“[5]

Der Artikel beschreibt ausführlich das militärische Vorgehen der Hamas und die Antwort des israelischen Militärs.

Als der Angriff stattfand, so Ritter, war die Hamas in der Lage, genau die Überwachungs- und Kommunikationsknotenpunkte zu treffen, auf die sich die IDF verließ, mit denen sie im Falle eines Angriffs die Mobilisierung organisieren wollten. Und dabei habe die Hamas die entlang des Zauns bzw. der Mauer zu Gaza stationierten israelischen Soldaten im Nahkampf besiegt. Zwei Bataillone der dort verantwortlichen Golani-Brigade seien aufgerieben worden, zudem weitere Teile von hoch gepriesenen IDF-Einheiten.

Die Hamas habe sogar das Hauptquartier der Gaza-Division, die örtliche Geheimdienstzentrale und andere wichtige Kommando- und Kontrolleinrichtungen angegriffen, und dort mit brutaler Präzision zugeschlagen. Dadurch sei die Reaktionszeit Israels von fünf Minuten auf viele Stunden verlängert worden. Was wiederum der Hamas die Möglichkeit eröffnet habe das Hauptziel, die Geiselnahme, zu realisieren. Und so seien sie mit 230 israelischen Soldaten und Zivilisten zurück nach Gaza gezogen.

Ritter erklärt, dass die Definition des US-Militärs für einen militärischen Überfall voll erfüllt worden sei. Dann erklärt er die drei Ziele der Hamas:

1.       Erstens, das Recht des palästinensischen Volkes auf ein Heimatland, das nicht durch das Abraham-Abkommen definiert ist, zu bekräftigen.

2.       Zweitens die Freilassung der mehr als 10.000 Palästinenser, die von Israel gefangen gehalten werden, die meisten von ihnen ohne Anklage und ohne ein ordentliches Verfahren.

3.       Drittens die Wiederherstellung der Unantastbarkeit der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, der drittheiligsten Stätte des Islam, die in den letzten Jahren wiederholt von israelischen Sicherheitskräften geschändet worden war.

Ob dabei Kriegsverbrechen begangen wurden, müsste eine neutrale internationale Kommission ermitteln. Fest steht, dass ein sehr großer Teil der Opfer durch die Hannibal-Direktive Israels z.B. durch Hubschrauber-Beschuss und Panzergranaten getötet wurde. Dazu später mehr.

Geiselnahme von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen. Allerdings muss berücksichtig werden, dass die Geiselnahme erfolgte, um über zehntausend Gefangene aus israelischen Gefängnissen zu befreien, von denen ein Großteil ohne Verfahren in Vorbeugehaft gehalten wird (es gibt Einzelfälle, die Jahrzehnte in Haft waren), andere nach Verurteilungen, in denen die Beweise „geheim“ waren. Hinzu kommt der bewiesene Einsatz von Folter und auch von unter Folter verstorbenen Palästinensern. Und hunderte der Gefangene sind Kinder, die entweder wegen Steinewerfen inhaftiert wurden und/oder um Druck auf die Eltern auszuüben. Und die Inhaftierung durch einen Besatzer außerhalb des Lebensumfeldes ist ein zusätzliches Kriegsverbrechen. D.h. Ermittlungen müssten jeweils gegenüber beiden Kriegsparteien vorgenommen werden!

Hamas, eine islamistische Widerstandsgruppe, die einmal mit Israels Hilfe aufgebaut worden war, um die eher laizistische Al Fatah von Jassir Arafat zu schwächen (teile und herrsche), und auf der anderen Seite Netanjahu, ergänzen sich, zulasten der Menschen in Israel und Palästina. Netanjahu ließ die Tötung und Verletzung von über tausend Palästinensern schon vor dem 7. Oktober 2023 zu, ebenso wie die Erniedrigung, die Entweihung von religiösen Stätten, die Zerstörung von Häusern und Straßen, die Inhaftierung ohne Verfahren von Tausenden, darunter auch Kinder. Alles kein größeres Thema in westlichen Medien. Dies treibt der Hamas Anhänger zu, welche auch extremste und ebenso Menschen verachtende Selbstmordaktionen bejubeln. Was wiederum eine Provokation für Netanjahu ist, die es ihm ermöglicht, endlich zu beginnen, seine Vernichtungsträume gegen Palästinenser unter dem Beifall des Wertewestens zu realisieren.

Wer tiefer in die Geschichte der Hamas einsteigen will, der kann viele Informationen in einem Artikel auf Voltairenet.org finden[6].

„Zum Zeitpunkt ihrer Gründung wurde die Hamas vom Vereinigten Königreich finanziert. Sie wurde vom israelischen Geheimdienst unterstützt, um Jassir Arafats Fatah zu schwächen. Dann bekämpfte Israel sie und ermordete ihren religiösen Führer, Scheich Ahmed Yassin. Dann wiederum benutzte Israel die Hamas, um die Führer des marxistischen palästinensischen Widerstands zu eliminieren. So griffen Hamas-Kämpfer unter der Aufsicht von Mossad-Agenten und Al-Qaida-Dschihadisten zu Beginn des Krieges gegen Syrien das palästinensische Lager Jarmuk an […]. Doch heute kämpft die Hamas wieder einmal gegen ihren zeitweisen Verbündeten Israel.“[7]

Das Ukraine Paradoxon

Wir erklären in Deutschland, dass die Ukraine durch Russland besetzt wurde, und sie das Recht hat, sich mit allen Mitteln dagegen zu verteidigen. Genau das sagten aber UN-Resolutionen[8] zur Besatzung Palästinas durch Israel. Aber hier negiert der Westen dies ganz einfach. In der Resolution von 1978 heißt es z.B., dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen bei mehreren Gelegenheiten das Recht von kolonialisierten Völkern, und insbesondere Palästinensern bestätigt hat, sich mit „allen verfügbaren Mitteln, besonders auch dem bewaffneten Kampf“ zu widersetzen. 1974 hatte die Generalversammlung außerdem erklärt, sie „verurteile scharf alle Regierungen, die das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Menschen unter kolonialer und ausländischer Herrschaft sowie Unterjochung durch Fremde nicht anerkennen, insbesondere dem Kampf der Menschen von Afrika und des palästinensischen Volkes“.

Begründet wird dieses Paradoxon Ukraine vs Palästina mit der historischen Verantwortung Deutschlands auf Grund der Verbrechen des Naziregimes und der Behauptung Israels, alle jüdischen Menschen weltweit zu vertreten. Was von immer mehr Juden deutlich abgelehnt wird. Deutsche Politik treibt offensichtlich nicht nur die Angst vor dem Hegemon USA, dem Schutzstaat Israels, sondern auch die Angst um, die Vertreter des israelischen Staates könnten Deutschland den Ablassbrief für die Verbrechen im Holocaust entziehen. Denn die Bundesregierung unterstützt die Besatzung Palästinas mit allen diplomatischen verfügbaren Mitteln. Während gleichzeitig zur Beruhigung des Wählergewissens mit Steuergeldern Palästinensern humanitäre Hilfe geleistet wird. Welche dann wiederum gerne von Israel „mangels Baugenehmigung“ oder weil gerade dort ein Truppenübungsplatz entstehen muss, oder aus ähnlichen Gründen, zerstört oder „beschlagnahmt“ wird.

Das Widerstandsrecht der Palästinenser beinhaltet natürlich keine Gräueltaten, wie derzeit über das Internet kolportiert werden. Dabei muss man vorsichtig sein, denn in der Vergangenheit war bei kriegerischen Konflikten immer und ausnahmslos die israelische Seite jene, die deutlich, oft mehr als das zehnfache an zivilen Opfern verursachten als palästinensische Kämpfer. Tim Anderson hat das für eine vergangene Gaza-Bombardierungen analysiert. Im Jahr 2014 z.B. töteten die israelischen Streitkräfte 1088 Menschen, darunter mindestens 816 Zivilisten. Der palästinensische Widerstand tötete 51, darunter 3 Zivilisten[9].

Israel begründete das damit, dass sich palästinensische Rebellen hinter menschlichen Schutzschilden verstecken würden, Israels Soldaten sich aber vor die Zivilbevölkerung stellen würden. Wobei letzteres zu bezweifeln ist, weil die größten Opferzahlen an israelischen Soldaten immer in den Gebieten der Palästinenser zu verzeichnen waren, wo es keine zivilen israelische Opfer zu schützen gab.

Teile Palästinas, genauer gesagt Gazas, wurden schon in der Vergangenheit dermaßen zerstört, dass die Bilder zeitweise als Beweis für „Syriens Assad bombardiert seine eigene Zivilbevölkerung“ vom Vorsitzenden der NGO Human Rights Watch verbreitet worden waren[10], und Videos über diese Steinwüste in Israels Wahlvideos verbreitet wurden, als Beweis für die Entschlossenheit des Bewerbers für ein politisches Amt, Palästinenser zu bombardieren bzw. zu töten.

Zurück zum Ukraine Paradoxon: Während Deutschland „so lange es notwendig ist“ alles für die Ukraine tut, die sich gegen einen „Besatzer“ verteidigt, so steht Deutschland mit der vollen Staatsräson hinter der Besatzungsmacht und dem Apartheid-System der israelischen Regierung, im Widerspruch zu über 60 UNO-Resolutionen.

Und so liest man von unserer feministischen Außenministerin am 7. Oktober:

    „Hamas eskaliert die Gewalt. Ich verurteile die terroristischen Angriffe aus Gaza gegen Israel aufs Schärfste. Gewalt & Raketen gegen Unschuldige müssen sofort aufhören. Israel hat unsere volle Solidarität & das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen Terror zu verteidigen.“

Wie gesagt … „Israel verteidigt sich nur“. Damit wurde schon im Voraus Israel Immunität für die Bombardierung Gazas und die Tötung von tausenden Zivilisten gegeben, denn „Israel verteidigt sich“ ja nur. Und die absolute Mehrheit der Antworten auf diesen Tweet zeigt, dass weder die Vorgeschichte, noch das Ukraine-Paradoxon den aufgehetzten Twitter-Accounts ein Anliegen war. Nochmal: Alle Verbrechen müssen gesühnt werden, auch die Ermordung des 12-jährigen Ahmad Abdulnaser Adnan Rabi am 7. Oktober durch israelische Besatzungstruppen[11] zum Beispiel.

Auf öffentlichen Gebäuden in Deutschland werden israelische Flaggen als Zeichen der Solidarität mit dem Besatzer gesetzt, einem Besatzer, der sich gegen die indigene Bevölkerung, die sie besetzt bzw. in Gaza im größten „Freiluftgefängnis“ der Welt belagert, „nur wehrt“. Der gleiche Geist, der zum Völkermord an Herero und Hama in Namibia führte, wird lebendig, auch der war durch einen Angriff gegen deutsche Kolonisten ausgelöst worden. Woraus sich die Unterstützung Namibias für Palästinenser erklärt.

„Israel verteidigt sich nur“

In fast allen Medien wird von einem „Angriff auf Israel“ gesprochen. Dabei ist dieser Selbstmordakt der Hamas nur ein Meilenstein nach einem Angriffskrieg Israels zur Eroberung Palästinas, und zielte auf ein Gebiet, aus welchem während der Nakba Palästinenser vertrieben, und Israelis neben den Ruinen der palästinensischen Häuser oder gleich darin, angesiedelt wurden. Auf israelischer Seite wurden mindestens 900 Menschen getötet und 2600 schwer verletzt. Dabei wurden auch hohe Offiziere und vor allen Dingen Soldaten und Soldatinnen entführt, aber auch Zivilisten.

Aber Vorsicht: wenn es z.B. heißt „das arme Mädchen wurde entführt“, darf man sich nicht wundern, wenn es sich um eine IDF-Soldatin handelte[12]. Was bedeutet, dass sie eine legitime Kriegsgefangene der Hamas ist.

Mit einer ersten Welle von Luftangriffen tötete Israel am Sonntag als Vergeltung 200 Palästinenser, verwundete teilweise lebensgefährlich 1610 Menschen in Gaza. Die Zerstörung von Wohngebäuden in Gaza ist dramatisch. Zehntausende wurden schon am ersten Tag der Kampagne obdachlos.

An dieser Stelle noch ein paar Worte zur „Verteidigung“ Israels. Monatelang hatten ab 2018 Palästinenser am Gaza-Zaun, mit dem der Gaza-Streifen auf dem Land wie ein Gefängnis abgeschottet wird, für ein Ende der Blockade demonstriert. Eine Blockade, welche die Region, nach Angaben der UNO, bereits vor Jahren unbewohnbar gemacht hatte. Dabei wurden unbewaffnete Demonstranten, die für Niemanden eine Gefahr darstellten, nicht nur durch Kopfschüsse getötet, sondern es wurde eine seit 2016 bekannte Form der Verkrüppelung von Menschen beobachtet.

„Jason Cone, der Exekutivdirektor von Ärzte ohne Grenzen (USA) erklärte am 11. Mai, welche Verwundungen die Munition der israelischen Scharfschützen bei unbewaffneten palästinensischen Demonstranten, die an der Grenze für ihr von der UNO bestätigtes Rückkehrrecht demonstriert hatten, verursachten. ‚Die Austrittswunde des Geschosses hat die Größe einer Faust. Der Knochen wurde pulverisiert. Das ist die Realität für die Hälfte der verletzten Patienten, die in den Kliniken meiner Organisation seit Beginn des Großen Marsches in Gaza behandelt wurden.‘“ [13]

Solche Verwundungen führen in aller Regel zu Amputationen, und dazu, dass die Menschen dem ohnehin immer wieder versagenden palästinensischen Gesundheitssystem auf Dauer zur Last fallen. Insgesamt wurden seit Beginn der Demonstrationen im Jahr 2018 bis Ende 2019 309 Palästinenser getötet, davon 4 Mädchen und 55 Jungen. 32.584 Palästinenser wurden verletzt, viele davon verloren Gliedmaße. Im gleichen Zeitraum starben 6 Israelis und wurden 179 verletzt. Allerdings nicht am Grenzzaun, sondern durch Racheakte von Palästinensern.

Der Iran

Und wenn man von der Hamas als Terrororganisation spricht, muss man in deutschen Medien natürlich auch darauf hinweisen, dass die dunkle Macht Iran dahinterstecken könnte. Alles Böse muss irgendwie zusammengebracht werden.

Tatsächlich hat der Iran nichts mit dieser Aktion zu tun. Auch wenn „Alternative“ gerne davon träumen. Was den Falken in Israel und den USA entgegenkommt welche endlich den Iran bombardieren möchten. Begründung: Der „umstrittene“ deutsche ehemalige Hacker mit dem Spitznamen Kim Dotcom sieht den Iran hinter der Eskalation in Palästina. Ich teile seine Meinung[14] nicht. Er vermutet, dass der Iran eine Konfrontation mit Israel und den USA anstrebt. Der Erfolg Russlands in der Ukraine ermutige den Iran, die jahrzehntelange feindliche US-Außenpolitik im Nahen Osten endgültig zu beenden. Eine „bankrotte US-Regierung“, so schreibt er, „wurde gerade zu einem weiteren Krieg eingeladen“. In erster Linie Russland und China würden von der erzwungenen Fokussierung auf die „Verteidigung“ Israels profitieren. Ich halte die These für nicht stichhaltig.

1. Weil die Iraner andere Palästinenser-Fraktionen unterstützen und zeitweise sogar gegen die Hamas in Syrien gekämpft hatten (eine Friedensvereinbarung fand danach statt), und

2. weil die Annahme, dass der Iran hinter dem Angriff steckt, bedeuten würde, dass der Iran die Palästinenser, ähnlich wie die USA die Ukrainer, als Kanonenfutter benutzen wollte. Und das passt nicht zur bisher gezeigten Politik im Irak, in Syrien, im Libanon und auch in Palästina. Der Schutz und die Hilfe für die Menschen dort wurden mit eigenem Blut und eigenem Verzicht erkauft. Michael Lüders weist im ZDF[15] darauf hin, dass es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass der Iran hinter der Planung und Durchführung der Hamas-Aktion steckt. Auch die Waffen sind eindeutig westlichen Ursprungs und wurden seiner Meinung nach über Ägypten ins Land geschmuggelt.

Thierry Meyssan hat vielleicht die beste Erklärung, warum der Iran keineswegs die Hamas führt. „Im Gegensatz zu dem, was das Wall Street Journal behauptet, ist es nicht der Iran, der die Hamas steuert. Vergessen wird dabei die Vereinbarung zwischen Hassan El-Banna, dem Gründer der Muslimbruderschaft, und Ruhollah Khomeini, dem Gründer der Islamischen Republik Iran. Die beiden Gruppen haben die muslimische Welt unter sich aufgeteilt und es ist ihnen verboten, maßgeblich in den Einflussbereich des jeweils anderen einzugreifen. Teheran hat wiederholt seine Unterstützung für die Palästinenser bekräftigt, aber sein konkretes Vorgehen in Palästina beschränkt sich auf den Islamischen Dschihad.“[16]

Wenn nicht Iran, dann Putin

Logischerweise kursieren auch Meldungen, dass „nur Putin“ dahinter stecken könne. Als Beweis wird angeführt, wie die Palästinenser mit selbst gebastelten Drohnen einen israelischen Panzer ausschalteten, und nur Russland könne dies den Palästinensern beigebracht haben. Was natürlich Quatsch ist, denn Bauanleitungen finden sich im Internet und dass sich nicht staatliche Akteure der Technologie bedienen würden, war schon 2012 ein Grund, warum über das Verbot von Kampfdrohnen, das jetzt natürlich obsolet ist, diskutiert wurde[17].

Laut einem Militärexperten[18], haben die Palästinenser mit minimalen Mitteln und einer materiell und von der Manpower her vollkommen unterlegenen Streitkraft, die israelische Armee überrascht und überrannt. Zuerst hieß es, dass über 700 Soldaten und Zivilisten und/oder Kombattanten in den Gaza-Streifen gebracht wurden, später wurde die Zahl auf „über 100“ reduziert.

Kurz nach dem 7. Oktober musste man befürchten, dass sich der Konflikt ausweiten könnte, sollte sich Israel bei seinen Angriffen bis zu einem Völkermord treiben lassen. Dann, so befürchteten viele, würde zumindest der libanesische Widerstand Schwierigkeiten haben abseits zu bleiben. Dann konnte sich dieser Konflikt sehr schnell zu einem großen Regionalkrieg ausweiten.

Das geopolitische Umfeld des 7. Oktobers

Nun gab es auch Gerüchte, Steinmeiers zitieren nach Washington hätte etwas mit der Palästina-Krise zu tun, was eher abwegig erscheint. Viel sinnvoller ist die Meinung eines russischen „Internet-Kommunikators“ auf Twitter[19]. Er zitiert Elena Panina, Direktorin des Instituts für Internationale Strategische Studien:

    “Die Hauptursache für den Konflikt zwischen der Hamas und Israel ist der Cowboy-Angriff der USA auf die Saudis. Washington hat den Plan eines ‚Sicherheitspakts‘ mit Saudi-Arabien gefördert. Demnach soll sich Riad im Gegenzug für Verteidigungsgarantien der Vereinigten Staaten von China und Russland distanzieren und zum ersten Mal in der Geschichte diplomatische Beziehungen zu Tel Aviv aufnehmen.“[20]

Die Unterzeichnung eines solchen Paktes führe zu einer Schwächung der Position des Irans, was gleichzeitig einen Schlag für das internationale Ansehen Chinas bedeute, das Teheran und Riad kürzlich in trilateralen Verhandlungen versöhnt hat. Außerdem bedeute es die Rückkehr Saudi-Arabiens, das gerade erst BRICS beigetreten ist, in die Umlaufbahn des amerikanischen Einflusses, und solle Bidens Position am Vorabend der Wahlen 2024 deutlich stärken. Schließlich würde die Anerkennung Israels durch die Saudis der Idee eines palästinensischen Staates mit seiner Hauptstadt in Ost-Jerusalem ein Ende setzen. Vor dem Hintergrund dieser Pläne erhalte das “selbstmörderische” Verhalten der Hamas seine Erklärung.

Das Ziel der Hamas sei nicht der militärische Sieg über Israel. Was man sich ohnehin nicht vorstellen kann. Stattdessen werde sein „Sieg“ eher die übermäßig gewaltsame Reaktion Tel Avivs auf den palästinensischen Angriff sein. Die Saudis, die für sich in Anspruch nehmen, in der arabischen und islamischen Welt führend zu sein, könnten die umfassende „Säuberung“ des Gazastreifens durch die IDF nicht ignorieren.

Danach werde sich die Idee der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel und damit eines “Sicherheitspakts” mit den Vereinigten Staaten, gelinde gesagt, als unangemessen erweisen. Im Mittelpunkt der derzeitigen Eskalation des Konflikts zwischen der Hamas und Israel stehe also der Kampf gegen den Versuch Washingtons, seinen Einfluss im Nahen Osten wiederherzustellen.

Zurück zur Situation kurz nach dem 7. Oktober. Man konnte annehmen, dass die Golfstaaten und Ägypten sich sicher nicht militärisch einmischen werden. Aber sie könnten sich weiter Syrien und dem Iran annähern, und versuchen die Reihen zu schließen und noch stärker eine multipolare Politik verfolgen, um den US-Einfluss zurückweisen.

Ich hatte schon einmal geschrieben, dass die Palästinenser durch bewusste Provokationen von harten Antworten Israels im Prinzip die Politik Gandhis verfolgen, nämlich Gewalt gegen die eigene Bevölkerung zu provozieren, um damit moralischen Druck auf den Gegner und die Weltgemeinschaft auszuüben und einen weit überlegenen Gegner dann doch zu Zugeständnissen zu bewegen. Wie einmal berichtet wurde, dass eine Inderin ihr Kind einem britischen Soldaten mit den Worten hingehalten hatte, er solle es töten. Und auch jüdische Autoren ziehen Gandhis Vorgehen für Erklärungen heran[21], um das Vorgehen der Hamas zu erklären.

War es Israels Pearl Harbour?

Wie die Leser sicherlich wissen, hatte die US-Regierung vor dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg bewusst einen Angriff Japans auf Pearl Harbour zugelassen, um die Bevölkerung auf Krieg umzustimmen. Und natürlich kursierten auch Gerüchte, dass der 7. Oktober so ein Fall in Israel sein könnte.

Israel verkauft Software (Pegasus) an Länder, mit denen diese ihre Bewohner überwachen können[22], aber war dem Anschein nach nicht in der Lage gewesen, die Hamas abzuhören? Angesichts der massiven Verluste der israelischen Armee bei dem Angriff verstummen allerdings die Stimmen, welche vermuteten, dass der Mossad möglicherweise bewusst keine Warnungen ausgesprochen hatte. Siehe auch Andrew Korybkos Ablehnung dieser These[23]. Andererseits erklären die ersten israelischen Kommentatoren, dass dies Israels 9/11 wäre, was bekannterweise in den USA zur Rechtfertigung eines Krieges gegen 7 Länder in 5 Jahren[24] führen sollte. Während Netanjahu versprach, dass Palästina einen

    „Preis bezahlen wird, wie man vorher noch nicht gesehen hat“.

Eine israelische Kommentatorin, die selbst ihren Wehrdienst im Geheimdienst abgeleistet hatte, erklärt, dass der Vorgang undenkbar sei, ohne Zustimmung eines „Deep State“[25]. Und in der Times of Israel, der AP und Al-Jazeera wurden Informationen kolportiert, dass angeblich der ägyptische Geheimdienst Israel wiederholt gewarnt habe[26], was verdächtigerweise unbeachtet blieb. Befeuert wird die FalseFlag-These durch Analysen, welche es als unmöglich beschreiben, dass Israel, wie gesehen, unbemerkt überfallen werden konnte[27]. Angesichts eines sich entwickelnden Völkermordes und einer immer mehr radikalisierenden israelischen Bevölkerung verstummten diese Stimmen aber.

Eskalation

Am 8. Oktober wurde bekannt, dass mit der ersten Bombardierungswelle Israels schon die Wohnungen von 20.000 Palästinensern in Gaza zerstört waren und hunderte getötet, tausend verletzt wurden und die Luftangriffe, gegen die Palästina keinerlei Abwehrmöglichkeit hat, weiter gingen. Die Zerstörung von Hochhäusern ohne jede militärische Bedeutung sind Strafmaßnahmen gegen die Bevölkerung Palästinas. Gleichzeitig wurde berichtet, dass Israel Stellungen der libanesischen Hisbollah bombardierte. Netanjahu postete stolz Videos der verheerenden Zerstörung[28].

Am 8. Oktober erklärte Netanjahu auch, dass er „die Stadt in Trümmer“ legen werde, und rief die Bevölkerung auf, zu fliehen, angeblich sei der Grenzübergang nach Ägypten offen.

Am 2. Tag nach dem Aufstand der Palästinenser wurde allgemein bekannt, dass Hamas die Geiseln benutzen wolle, um sie gegen 5000 Gefangene, andere sprechen von etwas über 1000, darunter auch Kinder und Jugendliche in israelischen Gefängnissen auszutauschen. Viele der Gefangenen waren durch Undercover-Aktionen Israels oder in den letzten Monaten durch offene Militäraktionen aufgebracht worden.

Nach dem 8. Oktober wurden auch die Ziele und das Ausmaß der militärischen Aktion der Hamas deutlich[29]. In allen angegriffenen Orten wurden die Waffen- und Munitionslager geplündert oder zerstört. Es sollen auch über 40 schwere Waffen, d.h. Panzer und Mannschaftstransporter u.ä. der Hamas in die Hände gefallen sein, ebenso wie tragbare Anti-Panzer-Waffen und andere Geräte, die nun wohl gegen Israel eingesetzt werden. Außerdem wurde gezielt nach Soldaten gesucht, die getötet oder nach Gaza in Gefangenschaft gebracht wurden. Und seltsamerweise schien der Iron Dome die von Gaza als Vergeltung für die Luftangriffe abgefeuerten über 100 Eigenbau-Raketen in Richtung Tel Aviv zumindest zum großen Teil nicht abgefangen zu haben.

Israel hatte am Montag den 9. Oktober 100.000 Soldaten vor Gaza zusammengezogen, am Abend war schon von der Einberufung von 300.000 Soldaten die Rede[30], um gegen einige tausend Hamas-Kämpfer vorzugehen, den Landstrich zu stürmen und die Städte „dem Erdboden gleich zu machen“. Die USA hatten den wichtigsten Flugzeugträgerverband vor der Küste positioniert und waren bereits damit beschäftigt Munition aus umliegenden Militärbasen heranzuschaffen. Und in Deutschland gab es für diese Vorbereitung eines Massenmordes von entmenschlichten Opfern mit Ansage … Beifall[31].

Am Abend des 9. Oktober wurde berichtet, dass die israelische Armee auch den Norden des Libanon bombardiert und massiv gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie in die Richtung schickt, nachdem von dort aus wohl Granaten auf von Israel besetzten Gebiet des Libanon eingeschlagen waren. Alles deutet nun darauf hin, dass die Eskalation von Israel gesucht wird.

Am 10. Oktober wurde bekannt, dass israelischen Medien zufolge das israelische Militär dem russischen Verbündeten Syrien mit der Zerstörung von Damaskus droht, falls sich die libanesische Hisbollah dem Krieg gegen Israel anschließt, und die IDF prahle dabei mit der Unterstützung durch die USA. Außerdem erklärt die IDF, 1500 Körper von toten Hamas-Kämpfern „gefunden“ zu haben[32].

Die erste Reaktion der Welt

Der legendäre Ruf des Mossad wurde zerstört, ebenso wie der Nimbus der Unbesiegbarkeit des israelischen Militärs. Aber die im Internet kursierenden Auswüchse der Militäraktion der Hamas hat gleichzeitig dem Ruf des Widerstandes geschadet. Trotzdem wird die Hamas außerhalb der westlichen Medienblase mit großem Respekt betrachtet, inzwischen fast ähnlich wie die Hisbollah, welche auch schon Israel aus dem Libanon gezwungen hatte. Auch offensichtlich ist, dass weder Russland[33], noch China auf der Seite des besetzten Palästinas stehen, sondern neutral, oder pragmatisch dem offensichtlich viel stärkeren Part des Konfliktes näher stehen.

Sollte sich der Konflikt tatsächlich aus einem schleichenden in einen explodierenden Genozid ausweiten, indem Netanjahu sein Versprechen einlöst, Gaza in Ruinen zu verwandeln, so schien es in den ersten Tagen, könnte es einen wirklichen Krieg gegen Israel geben, denn dann können die Hisbollah und Kräfte in Syrien bzw. der Iran kaum untätig bleiben. Die Gefahr der nächsten großen Ölkrise durch eine Verminung der Straße von Hormus durch den Iran würde dann real.

Kommt es aber zu den befürchteten Massenmorden durch die Bombardierungen, ohne eine Ausweitung des Krieges, wird die zynische Rechnung der Hamas aufgehen, und der Image-Schaden für Israel die arabischen Länder enger zusammenrücken lassen. Im Widerstand gegen die israelische Besatzung, schien jedweder Friedensprozess, der die Rechte der Palästinenser missachtet, erst einmal gestoppt zu sein.

Als Deutscher war ich schon in dieser ersten Phase schockiert über die Brutalität und Menschenverachtung in deutschen Tweets, welche die „Vernichtung Gazas“ bejubelten, und damit den drohenden Genozid an Menschen, die zu Tieren degradiert wurden, die in einem Freiluftgefängnis leben, und nun wie Enten in einem Käfig von Bomben vernichtet werden. Ausgerechnet Israelis setzten dagegen ein Licht der Hoffnung[34], das aber unterging im Meer der Empörung. Immerhin gab es Stimmen in Israel, die den Rücktritt Netanjahus forderten, weil er Warnungen nicht beachtete, und das Land anscheinend bewusst in den Krieg geführt hatte[35]. Derweil gehen aber die schlimmsten jemals gesehenen Luftangriffe gegen Gaza weiter, Opferzahlen steigen in die Tausende- bald mehr als zehntausend.



[2]Ebd.

[3]Ebd.

[5]Ebd.

[7]Ebd.

[8]https://twitter.com/kennardmatt/status/1710609969085554916 Das ist eine der Wiederholungen von Resolutionen aus 1974 [A/RES/3246 (XXIX) of 29 November 1974] und 1978 [A/RES/33/24 of 29 November 1978]. Das wird auch noch einmal in einem Artikel von AlJazeera im Jahr 2017 erklärt: https://www.aljazeera.com/opinions/2017/7/20/palestinians-have-a-legal-right-to-armed-struggle

[9]Quellen zu den Daten im Buch: Schattenkriege des Imperiums – Die Zukunft Palästinas, Jochen Mitschka & Tim Anderson, 2019, Nibe Verlag ISBN 978-3-947002-73-3.

[20]Ebd.