China diktatorischer Ausbeuterstaat? (20.04.2025)

Ein ansonsten von mir geschätzter Kollege sprach kürzlich über einen sinngemäß „diktatorischen Ausbeuterstaat China“. Ist China als „Unterdrückerstaat“ eine Bedrohung für die westliche Form des Individualismus, oder ein interessanter und fairer Kooperationspartner? Beginnen wir zunächst mit dem „Sozialkreditsystem“.

Laut der Auswertung einer Umfrage von Professor Genia Kostka von der Freien Universität Berlin im Jahr 2018, bei der 2209 chinesische Bürger aus unterschiedlichen sozialen Bereichen befragt worden waren, begrüßten 80% das Sozialkreditsystem und nur 1% lehnten es ab.

Die Studie war anscheinend ursprünglich mit der Absicht erstellt worden, die „Überwachungsinfrastruktur“ zu delegitimieren, aber dann mussten die Forscher in der Zusammenfassung feststellen:

„Die Studie basiert auf einer regionsübergreifenden Umfrage und stellt eine überraschend hohe Zustimmung zu SCS über alle Befragtengruppen hinweg fest. Interessanterweise zeigen sozial besser gestellte Bürger (wohlhabendere, besser gebildete und Stadtbewohner) sowie ältere Menschen die größte Zustimmung zu SCS. Während man erwarten könnte, dass sich diese informierten Bürger am meisten um die Auswirkungen von SCS auf den Datenschutz sorgen, scheinen sie SCS stattdessen zu begrüßen, weil sie diese aus dem Blickwinkel der Nutzengenerierung und der Förderung eines ehrlichen Umgangs in Gesellschaft und Wirtschaft statt einer Verletzung der Privatsphäre interpretieren.“

Die „National Credit Information Sharing Platform”, welche insbesondere Informationen über nicht bediente Kredite, Insolvenzen und ähnliche Fälle von „unsozialem“ Verhalten enthält ist inzwischen auf nationaler Ebene verfügbar. Vergleichbar mit der in Deutschland vorhandenen Schufa-Organisation, die jedoch privatwirtschaftlich organisiert ist, und nicht staatlich. Was man als Vorteil, aber auch Nachteil sehen kann.

Ansonsten sind verschiedene Systeme in China, welche das soziale Verhalten der Menschen mit Punkten bewerten dezentralisiert und decken unterschiedliche Bereiche ab. Die Umsetzung, die Kriterien und die Konsequenzen unterscheiden sich je nach Region und Behörde. Pilotprojekte mit Punktesystemen wurden aber teilweise eingestellt oder auf freiwillige Teilnahme beschränkt, und der Fokus liegt heute stärker auf der Erfassung von Rechts- und Regelverstößen als auf einem umfassenden „Social Score“ für alle Bürger.

Mit anderen Worten: Was uns regelmäßig als „allumfassendes soziales Überwachungs- und Kontrollsystem“ des Staates dargestellt wird, existiert so nicht in China. Weshalb auch Chinesen oft mit dem Kopf schütteln, oder sogar Erklärvideos machen, um ihre Sicht auf das SCS zu zeigen. Darin zeigen Sie ihre Akzeptanz darüber, dass Menschen, welche ihre Miete nicht bezahlt haben oder Schulden nicht beglichen, über die Plattform dazu gezwungen werden, ihren Lebensstil einzuschränken. Wenn jemand insolvent ist, wie kann er dann Flugreisen bezahlen? Und warum kann jemand, der einen Kredit nicht zurückzahlte, Luxusgegenstände kaufen?

Im Jahr 2019 wurde eine andere Studie durchgeführt. Sie betraf mehrere Gruppen. Die durchschnittliche Unterstützung bei 750 Elite-Uni-Studenten lag bei 7,5 von 10 Punkten. Benutzer des Internets (2028 Internet-Benutzer) ergab eine Zustimmung von 62%. Und natürlich ergab die Auswertung von staatlichen Medien, dass nur 2,8% der Meldungen negativ über ein SCS ausfielen.

Im Jahr 2020 gab es eine weitere Untersuchung zu dem Thema von einem US-Institut. Diese ergab, dass die Zustimmung etwas über „neutral“ lag. Dabei wurde abgefragt, ob die Menschen es begrüßen würden, wenn zusätzlich Punkte aufgenommen würden, wie z.B. wenn jemand ständig den Job wechselt, sich in Zügen oder U-Bahnen ungebührlich benimmt, häusliche Gewalt verübt oder online Gerüchte verbreitet. Letzteres befürworteten nur 40% der Befragten. Das am meisten unterstützte System war übrigens die mögliche Einführung eines Punktesystems um Personen bei negativem sozialen Verhalten für öffentliche Dienste und Ämter zu disqualifizieren.

Diese Umfrage unterstrich eine leichte Zustimmung sowohl zu Überwachung als sogar zu Bestrafung. Bestimmte Verhaltensweisen wie die Verbreitung von Gerüchten im Internet, wurde von über 40 % der Befragten für die Aufnahme in ein Punktesystem befürwortet. Übrigens existiert für Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ein eigenes soziales Kontrollsystem.

Politische Dissidenten

Es gibt verschiedene westliche Berichte, welche vom Einsatz des Sozialkreditsystems gegen unliebsame Journalisten, Petenten oder Demonstranten berichten. Jedoch zeigt ein genauerer Blick, dass dies nicht zentral, sondern regional organisiert wurde, und auch in China als Missbrauch angesehen wird. Es ist also wahrscheinlich, dass das System in Einzelfällen missbraucht wird.

Dem steht nun in Deutschland der Missbrauch des Justizsystem gegenüber, den wir gerade durch den §188 StGB sehen. Und auch die Welle von Bankkonto-Kündigungen, Abmahnungen, Anklagen und sogar Inhaftierung von Dissidenten, zeigt nicht unbedingt ein besseres Bild in Deutschland als in China.

Zusammenfassung

Alle Studien in westlichen Instituten, welche unter dem Eindruck begonnen worden waren, zu bestätigen, wie schrecklich das Sozialpunktesystem in China war, ergaben überraschende Zustimmungswerte. Was mit persönlichen Gesprächen mit Chinesen übereinstimmt. Während man in Deutschland oft Klagen darüber hört, wie undurchsichtig und seltsam, ja schädigend die Bewertung in Schufa sei, hatte ich eine solche Klage kein einziges Mal in China gehört.

Die Mehrheit der Menschen hatte offensichtlich positive Erfahrungen. Hinzu kommt, dass China durch die konfuzianische Geschichte des Landes eine andere Sicht auf Individualität hat. Im Konfuzianismus stehen Beziehungen, Loyalität und die Erfüllung vorgegebener Rollen (z. B. als Kind, Elternteil oder Bürger) im Vordergrund, was zu einer Kultur führte, in der individuelle Wünsche oder Rechte oft hinter dem Wohl der Gruppe zurückstehen.

Persönliche Erfahrung

In Deutschland gibt es auch SCS-Systeme, auf rein privater Basis. Dazu gehören die Rezensionen in Google ebenso wie die Punktevergabe für Käufe in Ebay. Und damit hatte ich ein herausragend positives Erlebnis. Im Jahr 2015 kaufte ich bei einem großen Online-Lampen-Händler für mein im Bau befindliches Haus eine Reihe von Lampensystemen. Die Internetseite machte den Eindruck einer Niederlassung in Deutschland, Auslieferung erfolgte aus den Niederlanden. Als die Lieferung eintraf waren wir im Bau und packten die Lampen erst 3 Wochen später aus, als wir feststellten, dass Rahmen für die Montage fehlten, und diese auch nicht auf dem Lieferschein vermerkt waren. Wir fragten nach, wann die Nachlieferung erfolgte, aber man teilte uns mit, die Reklamationsfrist für Falschlieferungen betrage 14 Tage, deshalb gäbe es keine Nachlieferung.

Da der Lieferant aber selbst dokumentiert hatte, weniger geliefert zu haben, als bestellt und bezahlt war, hatten wir natürlich kein Problem, diese lächerliche Argumentation zu widerlegen. Allerdings erfolgte keine Reaktion. Wir klagten, gewannen nach ca. 2 Jahren mit einem Versäumnisurteil. Nun stellte sich aber heraus, dass die Adresse in Deutschland nicht mehr vorhanden, in Holland nur eine Auslieferungslager war, und die Zentrale in Spanien auch auf Gerichtsvollzieher nicht reagierte.

Wir waren auf den Kosten des Verfahrens sitzen geblieben, der Lieferant bewarb und verkaufte weiter in Deutschland, als ob er eine deutsche Vertretung habe. Aber wir konnten die Lampensysteme nicht montieren, weil die Rahmen fehlten.

Da stolperte ich über ein privates SCS, eine Online-Kauf-Versicherung, bei welcher der Lieferant sich anscheinend gerade bemühte, eine Deckung für seine Verkäufe zu erhalten. Ich schrieb diese an und 14 Tage später wurden die Rahmen geliefert. Zwar saßen wir weiter auf den Gerichtskosten, aber immerhin konnten wir die Lampen montieren. Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus sehe ich also ein SCS weniger kritisch. Denn wäre das ein offizielles System und wir hätten unser Urteil eingereicht, wäre der Lieferant erfolgreich „bestraft“ worden.

Fazit

Die Zustimmung der Bevölkerung in China für das dort implementierte Sozialkreditsysteme, ist nicht nur auf Grund des kulturellen und geschichtlichen Hintergrundes, sondern auch der Art des SCS, und wegen seinem seltenen Missbrauch, überwiegend hoch. In Deutschland wäre der Einsatz eines solchen Systems verheerend. Denn wir sehen schon heute, wie der Missbrauch der Justiz und informeller Systeme zu einer zunehmenden Unterdrückung und Verfolgung von politischem Dissens führt.

 

Erstveröffentlichung:  https://tkp.at/2025/04/20/china-diktatorischer-ausbeuterstaat/