Covid-19

 

 

Carlos Latuff beschreibt im März 2020 die Bedrängnis der Palästinenser von zwei Seiten, indem er rechts eine Angriffsformation von Corona-Viren, in der Mitte die ängstliche »Mutter« Palästina zeichnet, die links von der Apartheidmauer begrenzt wird. Er schreibt: »Angesichts der Corona-Krise, die die ganze Welt erschüttert, möchte ich meine Solidarität mit den Palästinensern zum Ausdruck bringen, die nun ZWEI Bedrohungen ihrer Existenz ausgesetzt sind.«


»Die israelische Apartheid blockiert alles, was an die 2 Millionen palästinensischen Einwohner von Gaza geschickt wird ... einschließlich Impfstoffe gegen COVID-19, die Leben retten könnten.« So kommentiert Latuff seine Karikatur, in der ein Soldat eine Hand mit Spritze davon abhält, »Mutter« Palästina einen Schuss in den entblößten Oberarm über den Gaza-Zaun hinweg zu geben.

 

Die Corona-Krise wurde in vielen Ländern, wie in Deutschland und eben auch in Israel genutzt, um die Vertreter der Wähler auszuschalten und mit unumschränkter Machtfülle zu agieren, ohne jemanden fragen zu müssen.

Latuff zeichnet im März 2020 wie Netanjahu dem Tod in Form des Coronavirus die Hand schüttelt und denkt: »Ich liebe die Diktatur«, während er mit der anderen Hand ein Vorhängeschloss vor das Parlament des Landes, die Knesset hängt.


 

Der Gaza-Streifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Nicht nur weil Tausende Flüchtlinge seit den verschiedenen Vertreibungsoffensiven Israels nach Gaza kamen. Ca. 1,9 Millionen Menschen leben auf nur ca. 360 km².

Israel realisierte eine illegal militärische Blockade, die zum großen Teil willkürlichen Charakter hat, aber immer dem Gedanken der Kollektivhaftung und -bestrafung folgt. Und so sieht Carlos Latuff den Gaza-Streifen als ein von Israel bewachtes Gefängnis, in dem »Mutter« Palästina um Hilfe ruft, weil es von einer Armee von COVID-19-Kreaturen angegriffen wird.

Latuff meint dazu: »Stellen Sie sich ein Gebiet mit knappen medizinischen Ressourcen vor, weil es eine militärische Blockade zu Land, zu See und in der Luft gibt, die seit 2007 existiert. Nun stellen Sie sich vor, dass hier das Corona-Virus zuschlägt. Dieses Gebiet heißt Gaza.«



Aber nicht nur, dass die israelische Besatzung sich weigerte, der palästinensischen Bevölkerung die gleichen Corona-Schutz-Services zur Verfügung zu stellen. Die Soldaten der Besatzungsmacht zerstörten sogar Einrichtungen, welche die Palästinenser vor Corona schützen sollten.

Die Karikatur von Latuff dazu zeigt, wie ein Bagger mit einer israelischen Flagge  ein Zelt des Roten Kreuzes/Halbmondes niederreißt und ein Soldat, der den Helfer in Schutzausrüstung, der mit erhobenen Händen mit dem Rücken zu ihm steht, anschreit: »Corona bekämpfen? Was fällt dir ein?«

Tatsächlich ging die Besatzungsarmee im März 2020 hin und konfiszierte palästinensische Feldlazarette, die für Virusopfer aufgebaut worden waren, weil die Regierung Naqab, in dem über 100.000 Menschen leben, nicht als Gemeinde anerkennt und der Gemeinde deshalb auch Trinkwasserleitungen, Straßen, Elektrizität oder eben Gesundheitsfürsorge untersagt.

Im Jahr 2020 fand später unter dem Protest großer Teile der Welt die 177. Zerstörung der Siedlungen durch Bulldozer des Apartheid-Regimes statt. Die Menschenrechtsorganisation B’Tselem berichtete am 26. März:

»Heute Morgen, Donnerstag, 26. März 2020, gegen 7:30 Uhr, kamen Beamte der israelischen Zivilverwaltung im Westjordanland mit einer Eskorte aus Militärjeeps, einem Bulldozer und zwei Tiefladern mit Kränen in die palästinensische Gemeinde Khirbet Ibziq im nördlichen Jordantal. Sie beschlagnahmten Stangen und Planen, aus denen acht Zelte gebaut werden sollten, zwei für eine Feldklinik und vier als Notunterkünfte für die aus ihren Häusern evakuierten Bewohner, sowie zwei als Behelfsmoscheen. Außerdem beschlagnahmten die Einsatzkräfte eine seit mehr als zwei Jahren bestehende Blechhütte, einen


Stromgenerator sowie Säcke mit Sand und Zement. Vier Paletten mit Schlackenblöcken, die für die Zeltböden bestimmt waren, wurden mitgenommen und vier weitere abgerissen.

Während die ganze Welt mit einer beispiellosen und lähmenden Gesundheitskrise kämpft, verwendet das israelische Militär Zeit und Ressourcen darauf, die verwundbarsten palästinensischen Gemeinschaften im Westjordanland zu schikanieren, die Israel seit Jahrzehnten versucht, aus dem Gebiet zu vertreiben. Die Schließung einer Erste-Hilfe-Gemeinschaftsinitiative während einer Gesundheitskrise ist ein besonders grausames Beispiel für den regelmäßigen Kampf gegen diese Gemeinschaften und verstößt gegen grundlegende menschliche und humanitäre Prinzipien in einer Notsituation. Im Gegensatz zur israelischen Politik diskriminiert diese Pandemie nicht aufgrund von Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion. Es ist höchste Zeit, dass die Regierung und das Militär anerkennen, dass ausgerechnet jetzt Israel für die Gesundheit und das Wohlergehen der fünf Millionen Palästinenser verantwortlich ist, die unter seiner Kontrolle in den besetzten Gebieten leben.

Neben der schockierenden Zerstörung der im Bau befindlichen Klinik setzt die Zivilverwaltung ihre Abrissroutine fort. Heute hat sie im Dorf ’Ein a-Duyuk aTahta westlich von Jericho drei Saisonhäuser von Bauern abgerissen, die in Jerusalem wohnen.«118

Solange unsere Bundestagsabgeordneten und große Teile der westlichen Eliten die einzige gewaltlose Menschenrechtsbewegung BDS, die sich gegen dieses Unrecht einsetzt, als antisemitisch verleumdet, sehen sich die Protagonisten der Apartheid in Israel ungefährdet.

 

118       https://www.btselem.org/press_release/20200326_israel_confiscates_clinic_tents_during_corona- virus_crisis

 

»Nach Monaten des sich steigernden Drucks durch die internationale Gemeinschaft verkündete Israel, dass es 5.000 Impfdosen gegen COVID -19 der Palästinensischen Autonomiebehörde übergeben werde. Dies ist eine so kleine Menge, dass die PA erklärt: ‚Das wird uns nicht helfen.‘«

Diese Nachricht gehört zu seiner Karikatur, welche einen israelischen Soldaten zeigt, der 5.000 Impfdosen über die Apartheid-Mauer wirft, hinter der ein palästinensischer Helfer in Schutzausrüstung vor einem Schild steht, auf dem man liest: »Besetztes Gebiet Palästinas. Bewohner: Mehr als 5 Millionen.«

Die Impfdosen sind laut AFP für palästinensisches medizinisches Personal und für diejenigen bestimmt, die an vorderster Front gegen das Coronavirus kämpfen. Da jedoch zwei Dosen pro Person erforderlich sind, werden mit der Lieferung nur 2.500 medizinische Mitarbeiter geimpft, sodass Tausende weiterer medizinischer Mitarbeiter im Westjordanland und im Gazastreifen gefährdet sind.

Israel ist, wie Menschenrechtsgruppen betonen, seiner völkerrechtlichen Verantwortung nicht nachgekommen, die palästinensische Bevölkerung zu impfen, deren Gebiete es im Gazastreifen und im Westjordanland besetzt hält.

Nachdem die jüdische Bevölkerung weitgehend durchgeimpft war, erklärte sich Israel bereit, auch überzählige Impfdosen, die kurz vor dem Verfall standen, der PA zur Verfügung zu stellen.


 

In einer Karikatur vom 23. Juli 2020 zeigt Latuff einen großen Viruskörper mit der Aufschrift COVID-19, der den Daumen hochreckt als Gruß an einen israelischen Soldaten, der mit einem Bulldozer ein palästinensisches Testzentrum zerstört. Latuff:

»Israelische Armee zerstört palästinensisches Coronavirus-Testzentrum in Hebron im Westjordanland mit Bulldozern. Palästinensische Behörde macht Israel für COVID-19-Fälle im Westjordanland verantwortlich. Ja, das macht durchaus Sinn.«


 

Den Lockdown in Israel wegen COVID-19 kommentiert Latuff mit zwei Männern, die in ihren Fenstern stehen und sich über die Mauer zurufen: »Ich fühle mich wie in einem Gefängnis.« Worauf der Palästinenser erwidert: »Wirklich? Ich fühle mich genauso.« Damit wird darauf angespielt, dass die Maßnahmen, welche in Israel für jüdische Bewohner wegen COVID-19 erlassen wurden, für die besetzten Gebiete Palästinas zum Alltag gehören.



Am 7. Januar 2021 kommentiert Latuff die »COVID-19-Impfung unter dem Apartheid-Regime Israels« mit dieser Karikatur. Sie zeigt »Mutter« Palästina vor einer COVID-19-Impfstation. An der Tür steht »Nur für Siedler«, vor der Wand ein Wasserspender mit der Aufschrift »Nur für Nicht-Palästinenser« und eine Bank mit der Inschrift »Nur für Siedler«.

Ariel Gold kommentiert am 6. Januar 2021 die Impfpolitik Israels mit den Worten:

»Israel zeigt nicht Führungsstärke in der Impfpolitik, sondern demonstriert Apartheid-Medizin.«

»Die Medien sind in diesen Tagen voll mit Schlagzeilen wie ‚Wie Israel zum Weltmarktführer bei der Impfung gegen COVID-19 wurde‘. Während in den USA bisher nur 1,3 % der Bevölkerung gegen COVID-19 geimpft wurden, haben in Israel bereits über 14 % der Bürger den Impfstoff erhalten. Zur Erklärung führen die Medien Israels sozialisierte Medizin, die Tatsache, dass das Land klein, aber wohlhabend ist (was es Israel ermöglicht, 62 Dollar pro Dosis zu zahlen, im Vergleich zu den 19,50 Dollar, die die USA zahlen), und die stark digitalisierte Natur des israelischen Gesundheitssystems an. Doch hinter den Schlagzeilen, in denen Israels Impfraten gefeiert werden, verbirgt sich eine weitaus dunklere Geschichte über gesundheitliche Ungleichheit.«119

Israel hat eine Bevölkerung von etwa neun Millionen Menschen. 20 % der israelischen Bevölkerung sind palästinensische Bürger Israels. Diese Menschen dürfen an


119       https://mondoweiss.net/2021/01/

israel-is-not-showing-vaccine-leadership-it-is-demonstrating-medical-apartheid/


Wahlen teilnehmen, sind in der Knesset vertreten und werden gegen COVID-19 geimpft, erklärt der Autor. Aber es gebe eben weitere rund fünf Millionen Palästinenser, die unter israelischer Herrschaft leben, ohne Rechte, und wie der Rest der Welt unter der Pandemie leiden.

Er weist darauf hin, dass seit 1967 die Zahl der israelischen Siedler auf fast 500.000 angewachsen ist, wobei man Ende 2021 von fast 700.000 Siedlern spricht, und dass die israelischen Siedler-Regionalräte inzwischen 40 % des Landes im Westjordanland kontrollieren, mit wachsendem Anteil. Trotz der von den USA geförderten Normalisierungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko in der zweiten Jahreshälfte, die Israels Annexion des Westjordanlandes stoppen sollten, wurde 2020 die größte Anzahl von Siedlungseinheiten genehmigt, seit die Watchdog-Gruppe Peace Now 2012 mit der Beobachtung begonnen hat.

Obwohl die Palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas angeblich die offiziellen Regierungen des Westjordanlands und des Gazastreifens sind, habe Israel in Wirklichkeit das Sagen. Israel kontrolliere die Grenzen, die Währung, die Zentralbank und ziehe sogar die Steuern im Namen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ein. Es behält das Recht, Militäroperationen auf palästinensischem Gebiet durchzuführen, und kontrolliert, wie viel Freiheit den Palästinensern zugestanden wird oder eben nicht. Selbst in Gebieten wie Ramallah, die angeblich vollständig von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrolliert werden, behält sich Israel das Recht vor, jederzeit in die Stadt einzudringen, Straßen und Geschäfte zu sperren, in Häuser einzudringen und ohne Haftbefehl militärische Verhaftungen vorzunehmen.

Gold erklärt, dass die israelische Verteilung des Impfstoffs COVID-19 bei weitem nicht das einzige System der Ungleichheit im Lande ist. Bei den israelischen Wahlen werden die rund fünf Millionen Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen nicht berücksichtigt. Die Palästinenser in Ostjerusalem dürfen zwar an Kommunalwahlen teilnehmen, aber nicht an nationalen Wahlen, wie den im März anstehenden (den vierten in zwei Jahren).

Der vielleicht eklatanteste Beweis dafür, dass Israel zwei verschiedene Gesetze für zwei Gruppen von Menschen hat, ist sein Gerichtssystem im Westjordanland. Während die israelischen Siedler, die sich dort nach internationalem Recht illegal aufhalten, dem israelischen Zivilrecht unterliegen, leben ihre palästinensischen Nachbarn unter israelischem Militärrecht. Dies bedeutet, dass sie Statuten wie der Militärverordnung 101 unterliegen, die selbst friedlichen Protest verbietet.

Gemäß den 1993 unterzeichneten Osloer Verträgen ist die Palästinensische Autonomiebehörde allein für die Gesundheitsversorgung der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen zuständig, erklärt der Autor. Diese Vereinbarungen waren jedoch Teil einer Vision, die die Unterzeichnung eines umfassenderen Friedensabkommens innerhalb von fünf Jahren vorsah. Fast drei Jahrzehnte später sei dieses umfassendere Friedensabkommen immer noch nicht zustande gekommen, und


Israel habe sein Siedlungsunternehmen unter Missachtung des Völkerrechts und unter Umgehung seiner moralischen, rechtlichen und humanitären Verpflichtungen als Besatzungsmacht aufrechterhalten. Die Bereitstellung des COVID-19-Impfstoffs für Palästinenser sei nur eine dieser Verpflichtungen.

»Die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen brauchen den COVID-19-Impfstoff dringend. Bis zum 6. Januar 2021 gab es in den palästinensischen Gebieten 144.257 Fälle und 1.663 COVID-19-Todesfälle. Die Infektionsund Todesraten steigen bedrohlich an. In einem Zeitraum von nur 24 Stunden wurden 1.191 neue Fälle und 20 Todesfälle durch das Virus bekanntgegeben. Besonders besorgniserregend ist die Situation in Gaza. Der Gazastreifen ist bis zu 12 Stunden am Tag ohne Strom. Dank der israelischen Luft-, Landund Seebelagerung sowie der zahlreichen militärischen Angriffe auf die überfüllte Enklave herrscht im Gazastreifen ein gravierender Mangel an Medikamenten und medizinischer Ausrüstung, und es herrscht große Armut und Arbeitslosigkeit. Die Quarantäne und die Aufrechterhaltung der sanitären Versorgung im Gazastreifen sind äußerst schwierig.«120

Das Covax-System der Weltgesundheitsorganisation, das verarmten Ländern helfen soll, hat sich verpflichtet, 20 % der palästinensischen Gebiete zu impfen, kann man in dem Artikel lesen. Die Covax-Impfstoffe verfügen jedoch noch nicht über die erforderliche Genehmigung der WHO für den »Notgebrauch«, erklärt Gold. Gerald Rockenschaub, Leiter des WHO-Büros in Jerusalem, sagte, dass die Covax-Impfstoffe in den palästinensischen Gebieten wahrscheinlich erst »Anfang bis Mitte 2021« zur Verfügung stehen werden.

Allerdings befinde sich nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums die Gebiete in einer Finanzkrise, sodass sie so gut wie keine Mittel für den Kauf von Impfstoffdosen haben. Selbst als sie in der Lage waren, das Geld aufzutreiben, konnten die Impfstoffe, die sie im Dezember aus Russland zu kaufen versuchten, nicht geliefert werden, da Russland feststellte, dass sie nicht genügend Dosen zum Verkauf hatten.

»In der ersten Woche des Jahres 2021 begann die Palästinensische Autonomiebehörde anzufragen, ob Israel ihr bei der Beschaffung des Impfstoffs helfen würde. Bislang haben israelische Beamte erklärt, dass sie den Rest, den sie nach der Impfung der israelischen Bürger und der Palästinenser in Ost-Jerusalem übrig haben, dem Westjordanland und dem Gazastreifen zur Verfügung stellen könnten. Wenn das keine medizinische Apartheid ist, weiß ich nicht, was es ist.«121