Ethnische Säuberungen

 

Ethnische Säuberungen

 

Sheik Jarrah ist ein Beispiel für die jahrzehntelange schleichende ethnische Säuberung von Palästinensern durch Israel, dargestellt von Carlos Latuff in dieser Karikatur.

Am 2. August 2021 berichtete Ymna Patel, dass der Oberste Gerichtshof Israels nach monatelangen Protesten und internationalem Druck, die Vertreibung der Palästinenser aus dem Ostjerusalemer Viertel zu stoppen, am Montag seine Entscheidung über die Zwangsumsiedlung der vier palästinensischen Familien in Sheikh Jarrah vertagt hatte.

In der seit Langem erwarteten Anhörung am Montag habe sich das Gericht geweigert, über den Status des Eigentums an dem Land zu entscheiden, und schlug stattdessen vor, dass die Palästinenser als »geschützte Bewohner« in ihren Häusern bleiben.

Als geschützte Bewohner, so Patel, wären die palästinensischen Familien gezwungen, jährlich Miete an die israelische Siedlerorganisation Nahalat Shimon zu zahlen, die das Eigentum an Sheikh Jarrah beansprucht und versucht hatte, die palästinensischen Bewohner durch israelische Siedler zu ersetzen.

Nach dem Vorschlag des Gerichts würde eine solche Vereinbarung zwischen den Familien und den Siedlern ihre Vertreibung für die »kommenden Jahre« aufhalten, aber Nahalat Shimon nicht daran hindern, die Bewohner in Zukunft gewaltsam zu vertreiben. Die Anerkennung ihres Status als geschützte Bewohner würde in der Tat das Eigentum der Siedler an dem Land anerkennen – eine Bedingung, die die Bewohner kategorisch abgelehnt haben.


Laut Haaretz lehnte der Vertreter von Nahalat Shimon den Kompromiss ab und verlangte, dass die Familien das jüdische Eigentum an dem Land anerkennen. »Die Menschen müssen weiterhin dort leben, und das ist die Idee, zu versuchen, eine praktische Vereinbarung zu treffen, ohne verschiedene Erklärungen abzugeben. Wir haben gesehen, wie sehr dies die Medien interessiert. Wir wollen eine praktische Lösung«, zitiert der Autor den Richter Isaac Amit, wie es Haaretz schon tat.

Patel berichtete dann von widersprüchlichen Aussagen der palästinensischen Seite, erklärt aber unter Berufung auf einen Aktivisten:

»Anstatt eine Entscheidung über das Landeigentum zu treffen, hat das Gericht beschlossen, sich seiner Verantwortung zu entziehen und uns unter Druck zu setzen, eine Vereinbarung mit den Siedlern zu treffen.«30

Zuvor habe der Aktivist El-Kurd während der Anhörung getwittert, dass die Richter

»massiven Druck auf uns ausübten, um eine Einigung mit der Siedlerorganisation zu erzielen und so eine inhaltliche Entscheidung über unsere Rechte an dem Land zu vermeiden.«

Diese Feigheit diene dazu, potenziell nachteilige internationale Konsequenzen zu vermeiden, habe er erklärt.

Alaa Salayma, ein weiterer von der Vertreibung bedrohter Palästinenser, habe gegenüber Middle East Eye erklärt, dass die Familien den Kompromiss ablehnten: »In dem Moment, in dem wir Miete für unsere Häuser zahlen, bedeutet das, dass wir unser Eigentum aufgegeben haben. Das ist keine Option. Wir sind die Eigentümer dieser Häuser.«

Der Autor berichtet dann, dass nach Aussagen der Bewohner in den sozialen Medien die israelischen Streitkräfte während der Gerichtsverhandlung Sheikh Jarrah stürmten, in Häuser eindrangen und mehrere Menschen aus dem Viertel verhafteten.

Nach der Gerichtsanhörung brachten Palästinenser in den sozialen Medien ihre Ablehnung des Vorschlags des Obersten Gerichtshofs zum Ausdruck, beginnt der Abschluss des Artikels. »Viele wiesen darauf hin, dass Palästinenser nicht erwarten können, von einem Gericht Recht zu bekommen, bei dem einer der Richter selbst ein Siedler ist.«

»Ein weiterer Gerichtstermin, der über das Schicksal der Familien entscheiden soll, wurde noch nicht anberaumt. Mindestens neun weitere Familien in der Nachbarschaft sind ebenfalls von der Zwangsumsiedlung bedroht.

Im Mai traf das Gericht eine ähnliche Entscheidung und forderte die Bewohner auf, sich mit den Siedlern ‚zu einigen‘. Viele Palästinenser, darunter auch Bewohner des Viertels, haben die Befürchtung geäußert, dass das Gericht die


21       https://mondoweiss.net/2020/11/netanyahu-reportedly-had-secret-meeting-with-mbs-pompeo


Entscheidung über die Zwangsräumung aufgrund des zunehmenden internationalen Drucks lediglich aufschiebt und mit der Entscheidung wartet, bis die Aufmerksamkeit um Sheikh Jarrah nachlässt.«31

 

Die Karikatur von Latuff zeigt den neuen Premierminister auf einer Planierraupe, welche die Aufschrift »Ethnische Säuberung« trägt, mit der er in Richtung Siliwan, einer palästinensischen Siedlung fährt, während er in der rechten Hand ein Sturmgewehr hält und grinsend erklärt: »Ich habe in meinem Leben schon viele Araber getötet und das ist kein Problem.«

Natürlich bestreitet der neue Premierminister es gesagt zu haben, aber Jonathan Ofir recherchierte für einen Artikel und erklärte detailliert die Wahrheit.

Demnach habe der neue israelische Premierminister Naftali Bennett nicht nur gesagt: »Ich habe in meinem Leben viele Araber getötet, und das ist kein Problem«, sondern es sei sogar noch schlimmer, als es scheine.

»Nun, wenn man StandWithUs ist, die israelische Propagandaorganisation, dann versucht man, die Geschichte auszulöschen, indem man sie falsch darstellt indem man sie als Fake News bezeichnet. Die behauptet, dass ‚Al Jazeera und Bella Hadid Fake News verbreiten‘. Es zeigt zwei Posts, wobei der eine Al Jazeera paraphrasiert, dass ‚Bennett damit geprahlt hat, Palästinenser zu töten‘, und der andere Bella Hadid, die genau dieses Zitat postet: ‚Ich habe in meinem Leben viele Araber getötet, und das ist kein Problem.‘

StandWithUs behauptet, dass dies eine Lüge ist. Sie posten daher das angeblich ‚wahre‘ Zitat: ‚Ich habe in meinem Leben viele Terroristen getötet ... das ist gut und es ist eine Schande, dass wir nicht mehr Terroristen getötet haben.‘«32

Er erklärt, dass Naftali Bennett beide Äußerungen gemacht hat. Deshalb erklärt er, dass StandWithUs lüge. Es sei irrelevant, ob Bennet auch den anderen Satz mit den Terroristen gesagt habe, denn das andere Zitat mit den getöteten Arabern aus dem Jahr 2013 kann unmöglich geleugnet werden. Dabei mache der Kontext, in dem der Satz gesagt wurde, die Aussage noch schärfer, noch schlimmer.

»Am 15. August 2013 gab Adalah, das Zentrum für die Rechte arabischer Minderheiten in Israel, bekannt, dass es die Einleitung einer Untersuchung gegen Bennett durch den Generalstaatsanwalt fordert. Adalah behauptete, dass Bennett, der damals Wirtschaftsminister war, angeblich zu Gewalt angestiftet habe. Grundlage dafür war ein Bericht von Yediot Aharonot vom 29. Juli 2013, in dem ein Streit zwischen Bennett  und  dem  nationalen  Sicherheitsberater Yaakov Amidror beschrieben wurde. In diesem Streit sagte Bennett, dass

‚wenn Terroristen gefasst werden, sie einfach getötet werden müssen‘. Daraufhin sagte Amidror: ‚Das ist illegal‘, woraufhin Bennett antwortete:

‚Ich habe in meinem Leben viele Araber getötet, und damit habe ich kein Problem.‘

Mondoweiss hat seinerzeit darüber berichtet, und hier ist ein Screenshot des betreffenden Yediot Aharonot-Artikels.«33 34

Dann analysiert der Autor die Aussage und erklärt, dass das erste Problem mit Bennetts Worten eigentlich nicht das berüchtigte Zitat sei, sondern dasjenige über die außergerichtliche Hinrichtung eines mutmaßlichen »Terroristen«. Dies sei eine konsequente Politik in Israel, die 2015 vom gesamten politischen Spektrum und dem Sicherheitsapparat offen befürwortet wurde. Sogar der »liberale« Yair Lapid, der in der neuen Regierung als stellvertretender Ministerpräsident vorgesehen ist, habe gesagt:

»Wer ein Messer oder einen Schraubenzieher oder was auch immer zückt, muss wissen, dass die Anweisung heißt zu schießen, um zu töten. Man darf nicht zögern. Es wird volle rechtliche Unterstützung geben. Der Staat gibt volle juristische Rückendeckung.«35

 


32 https://mondoweiss.net/2021/06/

the-israel-hasbara-machine-is-attempting-to-sanitize-naftali-bennetts-i-killed-many-arabs-quote/

33 https://mondoweiss.net/wp-content/uploads/2021/06/46997_10153048842280207_1594077480_n.jpg

34 https://mondoweiss.net/2021/06/

the-israel-hasbara-machine-is-attempting-to-sanitize-naftali-bennetts-i-killed-many-arabs-quote/


Aber, so der Autor, die entlarvenden Antworten auf Kritik an der Aussage wögen nicht weniger schwer. Als die schwedische Außenministerin Margot Wallström zu Recht forderte, zu untersuchen, ob es in Israel tatsächlich eine Politik der außergerichtlichen Hinrichtungen gibt, meinte ein prominenter Pädagoge auf den Seiten der Sheldon-Adelson-Zeitung Makor Rishon, dass sie die »Bernadotte-Behandlung« – gemeint ist Ermordung erhalten sollte, wenn sie dies auch nur ernsthaft vorschlage. Premierminister Netanjahu bezeichnete Wallströms Vorschläge als »empörend, unmoralisch, ungerecht und dumm«.

Nun hatte Bennet genau diese Art der Ermordung von mutmaßlichen »Terroristen« vorgeschlagen. Und als man ihn darauf hinwies, dass dies illegal sei, benutzte er eine Sprache, in der er »Terroristen« mit »Arabern« verwechselte.

Das sei die übliche rassistische Kriminalisierung von Palästinensern, die die Quintessenz dieses ganzen Problems ist, meint der Autor – man wird standardmäßig als

»Araber« verdächtigt, ein wahrscheinlicher »Terrorist« zu sein, und dann gebe es eben »kein Problem« damit, einen aufgrund dieses Verdachts zu töten.

Die Jerusalem Post, so der Autor weiter, trage nun zur Hasbara-Kampagne bei, indem sie sagt, dass »Bella Hadid und Al-Jazeera verleumderische Zitate von Premierminister Bennett teilen«. Bennetts Worte werden nun als »umstritten« und »falsch zitiert« dargestellt. Dabei bringe die Jerusalem Post zu Bennetts Verteidigung einfach seine eigene falsche Behauptung aus dem Jahr 2015 vor.

»Es ist offensichtlich, dass Bennett 2015 von Haneen Zoabi mit seinen rassistischen Äußerungen konfrontiert wurde und es ihm unangenehm wurde, also versuchte er, die Geschichte umzuschreiben. Jetzt schreiben wir das Jahr 2021, er ist Premierminister, und es ist ihm wieder unangenehm, also versucht er wieder, sie umzuschreiben – mit Hilfe von StandWithUs, der Jerusalem Post und anderen.

Das wird wahrscheinlich immer so weitergehen, um genügend Zweifel daran zu wecken, was Bennett tatsächlich gesagt hat. Die nächste Kampagne könnte lauten: Was hat er wirklich gemeint, als er dem palästinensisch-israelischen Gesetzgeber Ahmad Tibi sagte: ‚Als Sie noch auf Bäume kletterten, hatten wir hier einen jüdischen Staat?‘ Hat er die Palästinenser wirklich Affen genannt, oder hat er Ahmad Tibi nur einen Affen genannt? Oder hat er nur die Terroristen gemeint?«36

 

 

 Carlos Latuf hatte schon vorher die ethnische Säuberung von Silwan in seinen Karikaturen angegriffen. So auch mit diesem Bild, welches »Mutter« Palästina zeigt, die schützend ein Mehrfamilienhaus in Silwan umarmt, während ein Siedler mit Sturmgewehr auf einer Planierraupe mit der israelischen Fahne auf dem Planierschild drohend näher kommt.

Zur Causa Siliwan schreibt Yumna Patel auf Mondoweiss einen Artikel mit einigen aussagekräftigen Bildern.37 Er schreibt, dass die Rettung von Sheikh Jarrah international großes Aufsehen erregt habe, aber dass nur wenige Kilometer davon entfernt eine andere Gruppe von palästinensischen Familien fast den gleichen Kampf zu bestehen habe. Es handele sich um das Dorf Silwan im besetzten Ost-Jerusalem.

 

 

 

37 https://mondoweiss.net/2021/06/

in-jerusalems-silwan-israeli-settlers-wage-another-battle-to-takeover-palestinian-homes/


 

Silwan liegt im Herzen Ostjerusalems und ist die Heimat von schätzungsweise

60.00           bis 65.000 Palästinensern. Es ist auch eines der Gebiete in Jerusalem, die am stärksten von israelischen Siedlungsaktivitäten betroffen sind und von Menschenrechtsgruppen als Israels Versuche bezeichnet werden, die Stadt zu »judaisieren«.

Direkt südlich des Geländes der Al-Aqsa-Moschee liegt das Viertel Batn al-Hawa in Silwan. Seit Jahrzehnten, so der Autor, sei Batn al-Hawa das Ziel einer unerbittlichen Kampagne von Siedlerorganisationen, die palästinensischen Bewohner des Viertels gewaltsam zu vertreiben und durch jüdische Siedler zu ersetzen – ein Prozess, der nach israelischem Recht völlig legal ist.

Eine Karte der Siedlerübernahmen im Silwan-Viertel von Batn al-Hawa im besetzten Ost-Jerusalem. (Foto: Peace Now)

Patel beschreibt dann, wie das Verfahren nach israelischer, offensichtlicher Apartheid-Gesetzgebung legal ist.

»Kurz gesagt, eine rechte Siedlerorganisation namens Ateret Cohanim hat versucht, etwa 100 Familien aus Batn al-Hawa unter dem Vorwand zu vertreiben, dass das Land vor mehr als 100 Jahren in jüdischem Besitz gewesen sei. Mit Hilfe einer Reihe von rechtlichen Verfahren, die von den israelischen Gerichten gebilligt wurden, hat Ateret Cohanim seit 2002 Räumungsbefehle gegen die Familien in Batn al-Hawa erwirkt, mit dem Ziel, jüdische Siedler an ihre Stelle zu setzen.

Während das israelische Recht die Übertragung von Eigentum an Juden zulässt, die sich auf ein früheres Eigentum aus der Zeit vor der Gründung Israels berufen, wird dieses Recht Palästinensern verweigert, die während der Nakba im Jahr 1948 aus ihren Häusern vertrieben wurden.«38

Bislang habe Ateret Cohanim bereits sechs Gebäude in Batn al-Hawa mit 27 Wohneinheiten in Besitz genommen – Einheiten, die einst palästinensischen Familien gehörten. Allein im Stadtviertel Batn al-Hawa hat Ateret Cohanim ein Gerichtsverfahren zur Räumung von 81 palästinensischen Familien mit insgesamt 436 Personen eingeleitet. Seit 2015 wurden bereits 14 Familien in diesem Viertel zwangsgeräumt. Und das sei nur Batn al-Hawa.


In mehreren anderen Vierteln innerhalb von Silwan versuchen nach Recherchen des Autors andere Siedlerorganisationen ebenfalls, weitere palästinensische Familien zu vertreiben, während die israelische Regierung Dutzende von Abrissverfügungen gegen palästinensische Häuser erlassen hat, um Platz für einen archäologischen Touristenpark und ein Naturschutzgebiet zu schaffen.

Im Jahr 2020 ordnete das Jerusalemer Amtsgericht die Räumung von sieben weiteren palästinensischen Familien in Batn al-Hawa an. Gegen zwei dieser Familien sollte am 26. Mai Berufung eingelegt werden, aber das israelische Gericht verschob seine Entscheidung, fügte der Autor hinzu.

»Trotz des Aufschubs sind die sieben Familien, zu denen 108 Personen gehören, weiterhin von der Vertreibung bedroht. Und sie sind nicht allein.

Nach einer Erhebung des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten aus dem Jahr 2020 sind gegen mindestens 218 palästinensische Haushalte in Ostjerusalem mit insgesamt 970 Personen und über 400 Kindern Räumungsklagen eingereicht worden. Die meisten dieser Fälle wurden von Siedlerorganisationen wie Ateret Cohanim eingeleitet.

Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen haben Israel aufgefordert, die Räumungspläne in Silwan aufzugeben, da derartige Zwangsräumungen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht darstellen, die einem Kriegsverbrechen gleichkommen.

Angesichts der drohenden Zwangsräumung fordern die Palästinenser in Sheikh Jarrah und Silwan die Welt auf, gegen die israelische Apartheid aufzustehen, und rufen die Menschen auf, in den sozialen Medien unter den Hashtags #SaveSheikhJarrah und #SaveSilwan weiterhin auf ihren Fall aufmerksam zu machen.«39


 

Carlos Latuff kommentiert seine Karikatur mit den Worten »Silwan – das nächste Ziel für die ethnische Säuberung durch Israel in Palästina«.

Zur ethnischen Säuberung durch israelische Siedler und die Regierung im Fall von Silwan, erschien im Juli ein englischsprachiges Buch der Autorin Jody Sokolower mit dem Titel »Determind to Stay« (Entschlossen zu bleiben).40

»Im Jahr 2012 reiste ich zum ersten Mal nach Palästina. Ich wollte mir selbst ein Bild machen, um eine bessere Lehrerin zu sein. Wie für so viele Besucher aus den USA war es eine lebensverändernde Erfahrung. Unter der Leitung der Middle East Children’s Alliance, für die ich jetzt arbeite, besuchten meine Familie und ich Bethlehem, Beit Sahour, Jerusalem, Hebron und Ramallah.

Für mich war Silwan, ein palästinensisches Dorf im Schatten der alten Stadtmauern der Jerusalemer Altstadt, besonders beeindruckend. Ich war erstaunt über den lebhaften Widerstand gegen Israels unaufhörliche Bemühungen, alle Palästinenser aus Silwan und aus ganz Jerusalem zu vertreiben. Jawad Siyam, ein Gemeindeleiter, der dort das Madaa Creative Center gegründet hat, führte mich und meine Familie herum. Wir sahen Kinder, die sich im Computerlabor abwechselten und in der Bibliothek zeichneten. Wir sahen einer jungen Hip-Hop-Gruppe bei den Proben zu, wir sprachen mit Frauen, die lernten, Mosaik-Tischplatten herzustellen. ‚Das ist wie Maklouba‘, sagten sie uns.

‚Man stellt das ganze Ding auf den Kopf und dreht es am Ende wieder um.‘ (Maklouba, ein traditionelles palästinensisches Reisgericht, wird in Schichten


40           https://www.shoppalestine.org/product-p/book_determined_to_stay.htm


zusammengesetzt, auf dem Herd gedünstet und dann zum Servieren auf eine Platte gestürzt.)

‚Ich zeige Ihnen unser neuestes Projekt‘, sagte Jawad. Er führte uns über die Straße zu einem kleinen Kulturzentrum mit einem Sportplatz, Wandmalereien und einer ganzen Reihe von Veranstaltungen für die Gemeinde. Wir tranken Kaffee und aßen Gebäck im Café und saßen an Mosaiktischen, die vom Frauenprogramm angefertigt worden waren. Der Kaffee in den kleinen Tassen war dickflüssig und süß und erfüllte die Luft mit dem Duft von Kardamom.

Zwei Wochen, nachdem wir in die USA zurückgekehrt waren, rissen die Israelis das Café ab. Sie sagten, sie bräuchten den Platz für einen Parkplatz für den King-David-Nationalpark, das archäologische Disneyland, das der Vorwand für einen Großteil der Abrisse und Vertreibungen in Silwan ist. Ich konnte es nicht glauben! Warum hat niemand darüber gesprochen? Ich war so wütend und aufgebracht, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Diese Wut – und die Inspiration der Silwani-Gemeinschaft – führten schließlich zu meinem soeben erschienenen Jugendbuch über Silwan, ‚Entschlossen zu bleiben: Die palästinensische Jugend kämpft für ihr Dorf‘.

Als ich heute Morgen meinen Computer einschaltete, sah ich etwas, das mich noch weiter empörte. Trotz einer internationalen Kampagne gegen die Abrissarbeiten in Sheikh Jarrah und Silwan waren die israelischen Bagger wieder am Werk und zerstörten Häuser und Geschäfte im Viertel al-Bustan in Silwan. Die grimmigen Medienbilder von israelischen Truppen, die Palästinenser angreifen, die versuchen, ihre Häuser zu schützen, erinnerten mich an Sarah, eine der Jugendlichen, die ich für mein Buch interviewt habe. Sie wohnt im Wadi Hilwah-Viertel von Silwan, direkt auf dem Hügel von al-Bustan. Von der Terrasse vor ihrem Haus hat sie einen Blick auf al-Bustan.

‚Was ist deine erste Erinnerung an die israelischen Siedler?‘, hatte ich Sarahgefragt.

‚Der Tag, an dem sie unser Haus abgerissen haben‘, sagte sie. ‚Ich war damals noch klein – acht Jahre alt. Sie standen vor der Tür unseres Hauses. Ich ging hin, um nachzusehen, aber das Haus war von der Polizei und ihren Hunden umstellt. Ich fragte meine ältere Schwester, was da los sei. ‚Sie sind gekommen, um unser Haus mit Bulldozern zu zerstören‘, sagte sie. ‚Wenn du nicht aufhörst zu reden, werden sie dich schlagen.‘

‚Sie sperrten uns in ein Zimmer im Erdgeschoss, und wir konnten hören, wie sie unser Haus über unseren Köpfen auseinandernahmen. Danach träumte ich immer wieder denselben Albtraum über das, was an diesem Tag geschah. Manchmal sehe ich ihn immer noch in meinen Träumen. Lange Zeit hatte ich Angst. Aber jetzt habe ich keine Angst mehr.‘


Wenn ich daran denke, dass Sarahs Erfahrungen von Kindern in al-Bustan, in Sheikh Jarrah und in Batin al-Hawa immer und immer wieder gemacht werden, wird mir kalt ums Herz. Es gibt so viele Ähnlichkeiten zwischen dem, was Jugendliche in Palästina erleben, und dem, was sie in den USA erleben, besonders für Jugendliche, die amerikanische Ureinwohner, Schwarze oder andere farbige Jugendliche sind. Die Gewalt, die wir diese Woche in Silwan erleben, ist ein Sinnbild dafür, wie der Siedlerkolonialismus funktioniert. Israel ist ein Siedlerkolonialstaat, der auf ständige Eroberung und Expansion aus ist. Genau wie die Vereinigten Staaten. Unsere Kinder müssen über Palästina Bescheid wissen, damit sie ihre eigene Situation besser verstehen und Teil einer internationalen Solidarität sein können, die darauf abzielt, eine Welt zu schaffen, die auf Gerechtigkeit, Frieden und Nachhaltigkeit basiert und nicht auf Eroberung und Vertreibung.«41


Einmal im Jahr findet ein großer Aufmarsch von rechtsextremen Siedlerorganisationen statt, die demonstrativ durch die palästinensischen Gebiete marschieren und dabei Drohungen aussprechen. Sie nennen es »Marsch nach Jerusalem«. Diese Siedler seien das wichtigste Werkzeug der rechten Regierung Israels, um die ethnische Säuberung von Jerusalem und der Westbank durchzuführen.


Carlos Latuff zeigt in seiner Karikatur zu dem Thema eine Friedenstaube in ihrem Blut auf dem Boden liegend, während militante Siedler im Stechschritt und mit Israelfahnen in Ost-Jerusalem über sie hinweg marschieren.

41           https://mondoweiss.net/2021/07/solidarity-with-silwan-a-teachers-perspective/


Mustafa Abu Sneineh beschrieb die Situation im Middleeasteye:

»Israelische Siedlergruppen haben am Freitag angekündigt, dass sie den antipalästinensischen ‚Fahnenmarsch‘ wieder aufnehmen wollen, nachdem er einen Monat zuvor wegen der zunehmenden Spannungen im besetzten Ostjerusalem abgesagt worden war.

Der so genannte ‚Fahnenmarsch‘ findet in der Regel anlässlich des JerusalemTages statt, der an die Eroberung und anschließende Besetzung Ostjerusalems durch Israel im Sechstagekrieg von 1967 erinnert. Dabei versammeln sich in der Regel Tausende junger, rechtsextremer und religiöser Israelis, um antipalästinensische Slogans zu skandieren und israelische Flaggen zu schwenken, während sie durch die kleinen Straßen der Altstadt von Ostjerusalem ziehen.

Die ursprünglich für den 10. Mai geplante Route des Fahnenmarsches wurde aufgrund palästinensischer Proteste gegen die geplante Zwangsumsiedlung der palästinensischen Bewohner des Viertels Sheikh Jarrah und die gewaltsamen Übergriffe der israelischen Streitkräfte auf die Al-Aqsa-Moschee vom Damaskustor abgeändert.

Der Marsch wurde an diesem Tag abgesagt, als Sirenen ertönten, nachdem die Hamas vier Raketen aus dem belagerten Gazastreifen auf die Außenbezirke Jerusalems abgefeuert hatte und ihr Ultimatum zum Rückzug der israelischen Streitkräfte aus der Al-Aqsa-Moschee an diesem Tag abgelaufen war.

Der Fahnenmarsch wurde nun auf Donnerstag, den 10. Juni, verschoben. Israelische Siedlergruppen planen, um 18:30 Uhr durch das Damaskustor in der Altstadt, einem wichtigen symbolischen Versammlungsort für palästinensische Jerusalemer, zum Westlichen Platz zu ziehen, wo um 21 Uhr Gebete stattfinden sollen.«42

 

 

42           https://www.middleeasteye.net/news/israel-palestine-jerusalem-flag-march-rescheduled


 

 

Als extremistische jüdische Siedler ein Progrom veranstalteten, diesmal in Ost-Jerusalem, kommentiert Carlos Latuff es mit einem Bild, auf dem man sieht, wie sie, alle mit Sturmgewehren bewaffnet, »Tod den Arabern« an die Wände schreiben, wie sie Scheiben einschlagen und Molotow-Cocktails werfen. Philip Weiss schreibt am 23. April in Mondoweiss unter anderem darüber. Der Titel heißt übersetzt: »Während ein Mob jüdischer Rassisten ein ‚Pogrom‘ gegen Palästinenser in Jerusalem entfesselt, verfügt der AIPAC über 331 Kongressmitglieder, die Israel beistehen.«43

Er berichtete, dass aus Jerusalem erschreckende Bilder eines Mobs rassistischer Juden aufgetaucht seien, die skandierten, dass die Stadt ihnen gehöre und die Araber brennen sollten. Er erklärte, dass die junge amerikanisch-jüdische Gruppe

»IfNotNow« den Mob als »Pogrom« bezeichnete und damit erneut ihre moralische Führungsrolle gegenüber den Ältesten der Gemeinde, die die Gewalt ignorieren, bewiesen habe. Er wies auf weitere Kommentatoren hin, welche den gleichen Begriff benutzt hatten.

»All That’s Left Collective veröffentlichte ein Foto des Mobs auf dem städtischen Platz nahe der Grünen Linie, nicht weit vom Damaskustor entfernt:

Jüdische faschistische Demonstranten, die Palästinenser aus ihren Häusern vertreiben wollen und ‚Tod den Arabern‘ schreien, dürfen sich versammeln, aber Palästinenser, die den Iftar genießen, werden mit Blendgranaten beschossen.‘(…)


43           https://mondoweiss.net/2021/04/as-mob-of-jewish-supremacists-unleash-pogrom-against-palesti-


Noa Landau hat ein Video von einem Angriff auf ein Haus aufgenommen: ‚Jüdische Rassisten greifen ein (arabisches) Haus in Jerusalem an. Man kann Kinder weinen hören. Das ist entsetzlich.‘44

Der Autor erklärt, dass in der Zwischenzeit die führende Israel-Lobbygruppe AIPAC sich mit der Tatsache gebrüstet habe, dass 331 Kongressabgeordnete einen Brief unterzeichneten, in dem es heißt, dass die US-Militärhilfe für Israel nicht eingeschränkt werden darf. Er meint, es sei ein Blankoscheck für Menschenrechtsverletzungen, den 3/4 des Kongresses, darunter viele Progressive, unterschrieben haben. (…)«45


 

Der Text »So sieht ethnische Säuberung aus« und »Sadistische Soldaten Israels lachen, während sie palästinensische Häuser in Ost-Jerusalem sprengen« begleitet diese Karikatur von Carlos Latuff.

Die Karikatur ist einem Video nachempfunden, welches in den sozialen Medien Furore machte. Sie zeigt israelische Soldaten und einen Pionier, der den Sprengzünder betätigt, während sie gemeinsam lachen und sich auf die Schulter klopfen. Daneben steht die Welt und fasst sich an den Kopf. Auf der anderen Seite »Mutter« Palästina, die weint. Russia Today schreibt unter Weltnachrichten:


44           https://mondoweiss.net/2021/04/as-mob-of-jewish-supremacists-unleash-pogrom-against-palesti- nians-in-jerusalem-aipac-crows-about-331-congress-members-standing-by-israel/

45           https://mondoweiss.net/2021/04/as-mob-of-jewish-supremacists-unleash-pogrom-against-palesti-


»Israelische Polizisten und Militärs wurden dabei gefilmt, wie sie am Montag lachend und jubelnd ein palästinensisches Gebäude im Westjordanlandbezirk Wadi Hummus in Ostjerusalem in die Luft sprengten.

Die Aufnahmen zeigen drei Männer, die auf das Gebiet blicken, in dem Israel mit dem Abriss von 13 Gebäuden begonnen hat, nachdem ein Oberster Gerichtshof einen Einspruch gegen den vom Verteidigungsministerium angeordneten Abriss abgelehnt hatte, weil die Gebäude zu nahe an der Trennmauer liegen, die Israel in den 2000er Jahren um und im Westjordanland errichtet hat.

Ein Mann, der eine Sturmhaube trägt, hält die Regler, um die Explosionen im Gebäude darunter auszulösen. Sobald es zu explodieren beginnt, lachen und feiern die Männer, während andere Menschen jubeln und pfeifen können.

Die Gebäude befinden sich am Stadtrand von Sur Baher in Wadi Hummus, das im Gebiet A des Westjordanlands liegt, d. h. unter der Verwaltung der Palästinensischen Behörde (PA). Durch die Trennmauer liegt Wadi Hummus auf der israelischen Seite der Anlage, obwohl es weiterhin zum Westjordanland gehört. Die Gebäude, die abgerissen wurden, hatten eine Genehmigung der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Shtayyeh verurteilte die Zerstörung der Häuser als ‚schwere Aggression‘ und kündigte an, beim Internationalen Strafgerichtshof Klage einzureichen. ‚Dies ist die Fortsetzung der Zwangsvertreibung der Bewohner Jerusalems aus ihren Häusern und von ihrem Land ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘, sagte er.

Letzte Woche forderten UN-Beamte Israel auf, seine Abrisspläne zu stoppen, und die EU erklärte, diese Politik untergrabe die Tragfähigkeit der Zweistaatenlösung und die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden.«46

 

46           https://www.rt.com/news/464832-israeli-laugh-demolish-wadihummus/

In einer Karikatur vom Juli 2019 kritisiert Latuff die Grabung eines Tunnels unter palästinensischen Häusern, bei dessen Start der US-Botschafter in Israel anwesend war. Das Bild zeigt den Botschafter, wie er mit dem Hammer, auf dem die Flagge der USA zu sehen ist, durch die Wand schlägt, die den Namen »Palästina« trägt. Mondoweiss hat Details zu dieser Geschichte.

Der Autor Yumna Patel erklärte, dass die Palästinenser empört darüber sind, dass hochrangige amerikanische Vertreter an der Einweihung eines umstrittenen Tunnels im besetzten Ostjerusalem teilgenommen haben. Er beschrieb, wie der US-Botschafter in Israel, David Friedman, und der Nahost-Beauftragte des Weißen Hauses, Jason Greenblatt, lächelten, als die letzte noch bestehende Mauer vor dem umstrittenen Tunnel »Pilgerstraße« einschlugen.

Dutzende von Aktivisten, die der israelischen Nichtregierungsorganisation Peace Now angehören, welche die Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten überwacht, hatten außerhalb der Veranstaltung dagegen protestiert. Ein in den sozialen


Medien veröffentlichtes Video des Protests zeigt, wie die israelische Polizei einige Demonstranten gewaltsam festhält. Patel schreibt:

»Das von der rechtsgerichteten Siedlerorganisation Elad geförderte Tunnelprojekt wird seit acht Jahren gebaut und verläuft direkt unter dem Ostjerusalemer Stadtteil Silwan, der an die Altstadt angrenzt.

Israelische Archäologen behaupten, dass der Tunnel einst eine wichtige Durchgangsstraße war, die bis in die Zeit der römischen Herrschaft zurückreicht und von Gläubigen vor etwa 2.000 Jahren genutzt wurde, um den alten jüdischen Tempel zu erreichen. Die Touristenattraktion soll den Besuchern die Möglichkeit geben, die Pilgerfahrt vom ‚Shiloah Pool‘ oder Birkat al-Hamra auf Arabisch bis zur Klagemauer nachzuvollziehen.

‚Sie bestätigt mit Beweisen, mit der Wissenschaft, mit archäologischen Studien, was viele von uns bereits wussten, sicherlich in unserem Herzen: die zentrale Bedeutung Jerusalems für das jüdische Volk‘, sagte Friedman laut Times of Israel vor über 100 Personen, darunter hochrangige israelische und US-amerikanische Beamte. ‚Dieser Ort ist ebenso ein Erbe der USA wie ein Erbe Israels‘, sagte Friedman.«47

Dann erklärt der Autor des Artikels, dass Fakhri Abu Diab, ein lokaler Aktivist     und Sprecher der Nachbarschaft in Silwan, Mondoweiss erklärt habe, dass seine Gemeinde empört über den »provokativen« Auftritt von Friedman und Greenblatt bei der Veranstaltung sei.

Der Botschafter habe eine klare Botschaft an die Palästinenser geschickt, meinte der Aktivist. Die Botschaft sei, dass er jegliche Friedensverhandlungen abwürgen werde, bevor sie überhaupt begonnen haben. Das könne zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen als in der Situation, da die USA versuchen den Palästinensern die zionistischen so genannten Friedenspläne schmackhaft zu machen.

Der Chefunterhändler der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Saeb Erekat, veröffentlichte eine Reihe von bissigen Tweets in den sozialen Medien, darunter einen, in dem er Friedman nicht als Botschafter, sondern als »extremistischen Siedler« bezeichnete.

Greenblatt reagierte dem Autor zufolge auf Kritik an der Veranstaltung nicht nur durch die genannten Kreise mit den Worten über Twitter: »Wir können nicht ‚judaisieren‘, was Geschichte/Archäologie zeigen. Wir können es anerkennen, und Sie können aufhören, so zu tun, als sei es nicht wahr! Frieden kann nur auf Wahrheit aufgebaut werden.«

Dann erklärte der Autor, welche Politik im Detail hinter dem Tunnelprojekt steckte:


»Als Teil der größeren Touristenattraktion City of David National Park ist die Pilgerstraße nur eines von mehreren archäologischen Projekten in Ostjerusalem, die von der israelischen Regierung als Rechtfertigung für die Anwesenheit von Hunderten von israelischen Siedlern benutzt werden, die sich illegal in Silwan und den umliegenden palästinensischen Vierteln aufhalten.

In den Tagen vor der Veranstaltung gab Friedman ein Interview mit der Jerusalem Post, in dem er die Davidsstadt als ein großartiges Beispiel für die Anerkennung der jüdisch-christlichen Werte, auf denen beide Nationen [Israel und Amerika] gegründet wurden, bezeichnete. Er verglich die Davidsstadt in Jerusalem sogar mit der Freiheitsstatue in Amerika.«48

Dagegen, so berichtet Patel, behaupten lokale palästinensische und israelische Aktivisten jedoch, dass die von der israelischen Regierung und Siedlergruppen durchgeführten Ausgrabungen unzulässig seien.

Emek Shaveh ist eine linksgerichtete israelische Nichtregierungsorganisation, die sich laut ihrer Website dafür einsetzt, die Rechte des kulturellen Erbes zu verteidigen und antike Stätten als öffentliches Gut zu schützen, das den Angehörigen aller Gemeinschaften, Religionen und Völker gehört.

In einer Pressemitteilung vom Freitag erklärte Emek Shaveh, eine linksgerichtete israelische Gruppe, die sich für das Recht der Palästinenser auf ein eigenes kulturelles Erbe einsetzt, dass die Straße zwar als Teil einer antiken Pilgerroute dargestellt werde, dies aber »trotz der Tatsache, dass die horizontale Ausgrabungsmethode und der Mangel an wissenschaftlichen Veröffentlichungen es uns nicht ermöglichen, mit Sicherheit festzustellen, wann die Straße gebaut wurde und wie sie in den Grundriss der Stadt Jerusalem passt«.

Und es gab Bedenken, dass der Tunnel auch für die gezielte Umschreibung von Geschichte dienen könnte. Patel berichtete, dass das Middle East Eye im Jahr davor mit einem lokalen Führer gesprochen hatte, der sagte, dass »die Ausgrabungen kein einziges Artefakt aus der König-David-Ära gefunden haben, die 3.000 Jahre zurückliegt«.

»‚Was gefunden wurde, sind Artefakte aus verschiedenen untergegangenen Reichen, hauptsächlich arabischen und muslimischen, die Jerusalem im Laufe der Jahrhunderte kontrolliert haben‘, berichtete MEE.

Abu Diab wiederholte diesen Punkt und sagte, die israelischen Archäologen

‚zerstören und verwerfen alle Beweise, die ihrer politischen Erzählung widersprechen. Sie sind nicht an der historischen Wahrheit interessiert, sondern nur daran, ihre jüdischen Ansprüche auf unser Land zu untermauern‘.

Für die Palästinenser ist aber noch schlimmer, welche schädlichen Auswirkungen die Tunnelgrabungen für die darüber stehenden palästinensischen Häuser verur-


sacht hatten. Demnach waren große Risse in Wänden und Böden von Häusern entstanden, die direkt über dem Tunnel liegen. Was zu der zynischen Bemerkung eines Aktivisten führte, dass Israel die palästinensischen Häuser jetzt nicht nur oberirdisch, sondern auch unterirdisch zu vernichten suche.

»Wie zahllose andere palästinensische Aktivisten ist Abu Diab der Ansicht, dass die israelische Regierung die Archäologie als Deckmantel und Vorwand für ihre politischen Ziele in Jerusalem benutzt hat. ‚Sie wollen uns Palästinenser rauswerfen und durch jüdische Siedler ersetzen.‘ Ähnlich äußerte sich Emek Shaveh in seiner Erklärung vom Freitag:

‚Die Nutzung der Archäologie durch Israel und die Siedler als politisches Instrument ist Teil einer Strategie, die historische Stadt zu formen und die israelische Souveränität über das alte Jerusalem einseitig zu festigen. Dies ist ein Prozess, der sowohl für Israel als auch für die Palästinenser verheerende Folgen haben wird. Es ist unentschuldbar, die palästinensischen Bewohner von Silwan zu ignorieren, indem man umfangreiche Ausgrabungen einer unterirdischen Stadt durchführt und diese Ausgrabungen als Teil der Bemühungen nutzt, eine historische Geschichte zu erzählen, die ausschließlich jüdisch ist, und das in einer 4.000 Jahre alten Stadt mit einer reichen und vielfältigen kulturellen und religiösen Vergangenheit.‘

Zu Friedmans Behauptung, das Tunnelprojekt festige die israelischen Ansprüche auf die Stadt, sagte Abu Diab dem Botschafter Folgendes: ‚Wir Palästinenser, die Einwohner dieses Landes, ignorieren all diese Behauptungen. Es gibt Hunderttausende von Palästinensern, die seit Jahrhunderten auf diesem Land leben.‘ ‚Niemand‘, sagte er, ‚kann unser Erbe und unsere Kultur aus diesem Land auslöschen.‘«49


 

Carlos Latuff zeigt mit einer Karikatur im April 2021, dass die ethnische Säuberung im Fall von Sheikh Jarrah nur noch eine Frage der Zeit ist. Da stehen Siedler mit Sturmgewehren an der Startlinie von »Ethnische Säuberung«, ein Richter hält die Startpistole in die Luft und schaut auf die Uhr, und die Welt und Palästinenser schauen betroffen zu. Er kommentiert seine Zeichnung mit den Worten: »Das Vorgehen Israels gegen die palästinensische Gemeinde Sheikh Jarrah im besetzten Ost-Jerusalem hat einen Vorund Nachnamen: Ethnische Säuberung!«

»‚Judenfrei‘ oder auch ‚judenrein‘ waren zunächst im 19. Jahrhundert verwendete, später in der Zeit des Nationalsozialismus verbreitete judenfeindliche Begriffe, die ein Gebiet ohne jüdische Bewohner bezeichneten. In der Sprache des Nationalsozialismus wurde der Begriff zumeist als Euphemismus verwendet: Organisationen, Berufszweige, Wirtschaftsbereiche, Orte und Regionen wurden als judenfrei deklariert, nachdem die dortigen Juden deportiert oder vertrieben worden waren. Gelegentlich wurde der Begriff auch verwendet, um Lebensbereiche als frei von jüdischem Einfluss zu bezeichnen.«50

Wie lange wird es wohl dauern, bis Sheikh Jarrah frei von Palästinensern ist? Und: Worin unterscheiden sich diese ethnischen »Bereinigungen« von denen der Nazis? Eine Frage, die man besser nicht öffentlich stellt – auch wenn sie gestellt werden muss.


50       https://de.wikipedia.org/wiki/Judenfrei