Hasbara Teil 3

 

Im August wollten zwei US-Abgeordnete der »Democrat Party« Ilhan Omar und Rashida Tlaib nach Israel und Palästina reisen, erhielten aber keine Einreisebewilligung. Latuff zeichnete sie mit Koffern an der Grenze zu Israel, wo Premierminister Netanjahu einen Stempel »VERBOTEN« schwenkt und auf die beiden gezeichneten Figuren stempelt, während er die Hand von Trump schüttelt und im Hintergrund Häuser von Palästinensern zerstört werden.

Latuff klärt auf: »Trump twittert und Netanjahu verweigert US-Vertreter @ilhanmn und @rashidatlaib Einreise nach #Israel. Offensichtlich will Netanjahu keine Zeugen für seine ethnische Säuberung in Palästina!«



In einer Karikatur stellt Carlos Latuff Netanjahu dar, wie er mit einem langen Arm der Abgeordneten Rashida Tlaib den Mund zuhält, und darunter Trump, der der Abgeordneten Ilhan Omar den Mund verschließt. Er kommentiert: »Tump-Netanjahus Krieg gegen @rashidatlaib und @ilhanmn ist ein Krieg gegen die Meinungsfreiheit, ein Krieg gegen alle, die es wagen, Israels Apartheid zu kritisieren.«

Michael Arria berichtet, dass die Ablehnung der Einreise für die Abgeordneten in den Vereinigten Staaten und in Israel große Aufmerksamkeit erregte, da sie mit einer landesweiten Debatte über ein Anti-BDS-Gesetz zusammenfiel, das im Repräsentantenhaus eingebracht worden war. Dieser Gesetzesentwurf wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen, aber Omar und Tlaib stimmten dagegen, und Omar brachte ihren eigenen Gesetzesentwurf ein, um zu bekräftigen, dass Amerikaner das Recht haben, ausländische Länder zu boykottieren.

Er berichtet dann mit Details, dass offensichtlich ursprünglich die israelische Regierung es nicht gewagt hätte, US-Abgeordneten die Einreise zu verweigern, wenn nicht von Trump die klare Nachricht erfolgt wäre, dass die Behörden Israels so handeln sollten. Schließlich kommt er auf die Reaktionen der Palästinenser zu sprechen.

»Der Vorsitzende der Hadash-Partei, Ayman Odeh, twitterte: ‚Israel hat die Palästinenser schon immer von ihrem Land verbannt und uns von anderen Palästinensern getrennt, aber dieses Mal ist der Palästinenser eine US-


Kongressabgeordnete, Rashida Tlaib musste nicht einmal landen, um das wahre Gesicht der israelischen Besatzung zu enthüllen.‘

Eine Quelle teilte der Washington Post mit, dass Tlaib (die erste palästinensisch-amerikanische Frau im Kongress) möglicherweise ihre Familie im Westjordanland besuchen darf, wenn sie eine Sondergenehmigung für einen humanitären Besuch beantragt.«95

 

 

In einer Karikatur verdeutlichte Latuff, wie er den Tsunami von antisemitischen Vorwürfen sieht. Er zeigt einen Nachrichtensprecher, der live die Samstag-Nacht-Nachrichten verliest und im Hintergrund ein Corona-Virus mit dem Titel »Israel«. Davor steht ein Panzer mit der Aufschrift »Israel Lobby«. Aus dem Panzer hört man sagen:

»Sie sind antisemitisch!«, worauf der Sprecher fragt: »Warum?« Die Antwort lautet:

»Weil Sie die Wahrheit sagen.«

Latuff schreibt dazu: »Selbst die geringste Kritik an Israel, in diesem Fall eine Satire von @nbcsnl, wird von der Pro-Israel-Lobby automatisch als Angriff gegen das jüdische Volk gewertet. Wer ist noch überrascht von dieser alten Taktik der israelischen Apartheid-Apologeten?«

Shulamit Aloni, verstorben 2014, die frühere israelische Ministerin für Erziehungsfragen, Knesset-Abgeordnete, Chefinder Meretz-Parteiund Menschenrechtsaktivistin, erklärt den Mechanismus dahinter. Sie wurde 2002 von Democracy Now! durch die jüdisch-US-amerikanische Journalistin Amy Goodman interviewt. Auf deren Frage:


95       https://mondoweiss.net/2019/08/netanyahu-reportedly-entering/


»Häufig, wenn Widerspruch in den USA gegen die israelische Regierung geäußert wird, dann werden diese Leute hier antisemitisch genannt. Was ist Ihre Antwort darauf als eine israelische Jüdin?«, antwortete sie: »Nun, das ist ein Trick. Den wenden wir immer an. Wenn jemand aus Europa Israel kritisiert, dann bringen wir ‚den Holocaust‘ hoch. Wenn Leute in diesem Land (USA) Israel kritisieren, dann sind sie antisemitisch.«

Stellt sich die Frage, ob auch Gideon Levy, Mitglied des Herausgeberkreises der liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz und Verteidiger der Rechte der Palästinenser, als Antisemit gilt. Vermutlich ja.

 

Welchen Einfluss die Israel-Lobby ausübt, zeigt Carlos Latuff eindrucksvoll noch einmal in dieser Karikatur vom Februar 2021. Vor dem Gebäude der NBC und seiner Saturday-Night-Live-Show steht ein mächtiger Mann im dunklen Anzug mit der Aufschrift »Israel Lobby«, der einer farbigen Person mit roter Krawatte erklärt: »Ich werde Ihnen ihre Rechte vorlesen ... Sie habe nicht das Recht, Israel zu kritisieren.« Dahinter steht ein Polizeiwagen mit israelischem Nummernschild, blinkenden roten Rundumleuchten und der Aufschrift »Gedankenpolizei«, hinter dem noch ein weiterer »Beamter« steht.

Latuff sagt dazu: »Ob in politischen, akademischen oder sogar Showbiz-Kreisen, die Israel-Lobby™ und ihre Aufpasser wittern stets Kritik an der israelischen Apartheid und kommen dann mit den altbekannten Vorwürfen des Antisemitismus, gefolgt von der üblichen Hexenjagd.«


Die Hintergründe erklärt Mondoweiss in einem Artikel vom 21. Februar, nämlich dass viele Nachrichtenorganisationen Israels Impfrate gefeiert haben. Von der PBS News Hour bis zu den NBC Nightly News, immer und immer wieder. Vor ein paar Tagen habe NBC sogar eine »Wie haben sie das geschafft?«-Geschichte gebracht.

»Nun, wir glauben das nicht, und die halbwegs intelligenten Amerikaner auch nicht. Das war SNL gestern Abend, Michael Che bei den Nachrichten.

‚Israel meldet, dass sie die Hälfte ihrer Bevölkerung geimpft haben. Und ich nehme an, es ist die jüdische Hälfte.‘

Wie Omar Baddar sagt, hat sich SNL über die israelische Apartheid lustig gemacht. Die Katze ist aus dem Sack, was den israelischen Rassismus angeht. Das israelische Image, die Marke ist am Boden. Und die liberalen zionistischen Organisationen in den USA können nicht mit der Tatsache klarkommen, dass das Land zum Apartheidregime erklärt wurde. Aber SNL kann es.

Und siehe da, die Leute nennen SNL antisemitisch! Die Israel-Lobby schläft nie.

Israel hat die Millionen von Palästinensern in den besetzten Gebieten so gut wie ignoriert. Der Gesundheitsminister scherzte sogar, dass Israel nicht mehr Verantwortung für die Palästinenser hat als die Palästinensische Autonomiebehörde für die Delfine im Mittelmeer.«96

Der Artikel erinnert auch an Sendungen, welche sich satirisch mit Israel beschäftigten, aber nie ausgestrahlt werden durften. Viele Links finden sich im Artikel, falls jemand an der Satire interessiert ist.

 

96       https://mondoweiss.net/2021/02/michael-che-jokes-that-israel-is-only-vaccinating-jews-on-snl/

Das Bild von Latuff aus dem Jahr 2013, was er auch später immer mal wieder veröffentlichte, zeigt ihn grimmig den Kopf wendend, mit einem T-Shirt »Free Palestine«, wie er einen anonymen »Erpresserbrief aus Israel« liest, der die Drohung enthält, ihn einen Antisemiten zu nennen, sollte er nicht aufhören, die Palästinenser zu unterstützen. Er schreibt dazu:

»Wenn man Israels Apartheid kritisiert ist man kein Antisemit. Wenn man Israels Kriegsverbrechen kritisiert, ist man kein Antisemit, wenn man Israels Luftangriffe auf Gaza verurteilt, ist man kein Antisemit. Oder steht Israel über jeder Kritik?«


 

 

Im Jahr 2020 verhing die Regierung Pakistans über eine der Karikaturen Latuffs ein Verbot. Man sagte, es wäre Blasphemie. Immer wieder passierte, dass Karikaturen mit jüdischen Merkmalen zensiert wurden, während solche über muslimische, auch religiöse Themen, im Westen als »Redefreiheit« gewertet wurden.

Deshalb verwies Latuff auf ein Cartoon von 2012, in dem er auf der linken Seite einen Karikaturenzeichner vor einer begonnenen Zeichnung einer orthodoxen jüdischen Person von einer Faust mit der Aufschrift »the West« getroffen am Boden zeigte, während im rechten Teil unter dem Titel »Zeichnen über Muslime« die Hand dem Zeichner bequem als Sitzplatz diente, während er das Bild einer muslimischen Person zeichnete.

Kommt die Hasbara in eine Krise?


 

 

Die Karikatur zeigt einen Bewerber um ein Amt am Boden, gerade von einem Wahlkampfwagen in Form einer Wahlurne mit dem Aufschrift »Bowman«, der ihn mit einem Siegeszeichen wegfährt. Der Überfahrene sieht Sternchen und fragt: »Hat jemand das Kennzeichen notiert?«

In der Vergangenheit war die Zusammenarbeit von Bewerbern auf ein Mandat mit AIPAC eine Möglichkeit, die Wahl abzusichern. So finanziell stark aber vor allen Dingen einflussreich war diese israelische Lobbygruppe. Die scheinbare Unbesiegbarkeit dieser Mandatsbewerber und von AIPAC wurde im Juni 2020 erschüttert.

Josh Ruebner schrieb am 24. Juni 2020 dazu einen Artikel. Er beginnt damit zu erklären, wie er im Jahr 2014 dabei half, eine erschütternde Podiumsdiskussion auf dem Capitol Hill während Israels grausamer Operation »Protective Edge«, einer 50 Tage andauernden Serie von Kriegsverbrechen gegen Palästinenser im belagerten Gazastreifen, zu organisieren.

Er berichtet in dem Artikel von Tariq Abukhdeir, dem Teenager aus Florida, der im Monat zuvor in Handschellen von israelischen Grenzpolizisten brutal zusammengeschlagen wurde, nachdem sein Cousin Mohammed von israelischen Extremisten auf grausame Weise ermordet worden war, und der Autorin Laila El-Haddad, die am selben Tag die schreckliche Nachricht erhielt, dass das israelische Militär acht Mitglieder ihrer Familie getötet hatte, die auf dem Podium eindringlich Zeugnis abgaben.

Da C-SPAN die Veranstaltung live übertrug, zwangen Anhänger Israels auf dem Capitol Hill den Sender dazu, die Podiumsdiskussion abzuschalten, um eine weitschweifende, improvisierte Lobeshymne auf Israel zu übertragen, die Senatorin Barbara Boxer vor einem weitgehend leeren Saal hielt.


Dann kommt er zu Eliot Engel, den er am Rande der Veranstaltung, an der dieser

aber nicht teilgenommen hatte, getroffen hatte.

»Ich hielt für ihn den Aufzug an und sagte ihm, er solle auf die andere Seite des Saals kommen und sich diese eindringlichen Zeugen der Gräueltaten anhören, die Israel mit den Waffen und der politischen Unterstützung begangen hat, die er so großzügig zur Verfügung stellt.

Natürlich lehnte er ab, denn Unwissenheit ist ein Segen. Also ging ich mit ihm in den Aufzug und fuhr fort, ihn über die Notwendigkeit zu belehren, die USFinanzierung für Israel zu beenden. ‚Kürzung der Mittel für Israel?‘,  fragte    er, als hätte er sich verhört. ‚Nein, ich bin für eine Aufstockung der Mittel für Israel‘, antwortete er süffisant.

Ich dachte über diese kurze Begegnung nach, als ich mit der freudigen Nachricht aufwachte, dass Jamaal Bowman, der progressive demokratische Herausforderer bei den Vorwahlen, mit 61 zu 36 Prozent gegenüber Engel in Führung liegt, wobei mehr als 90 Prozent der Wahlbezirke ausgezählt sind.«97

Der Autor ist der Meinung, dass Bowmans offensichtlicher Sieg nicht nur ein einfacher Rückschlag für die Israel-Lobby sei, sondern ein monumentaler Zusammenbruch. Engel sei kein austauschbarer Automat, der AIPAC-Parolen nachplappert. Als achtältester demokratischer Abgeordneter habe Engel eine mehr als drei Jahrzehnte währende Erfolgsbilanz, die von keinem anderen Demokraten im Repräsentantenhaus übertroffen wird, indem er Dutzende von Gesetzesentwürfen und Resolutionen einbrachte, die die eindeutige Unterstützung der USA für die israelische ApartheidHerrschaft über das palästinensische Volk zementierten, und diese erfolgreich verabschiedete.

Von 2013 bis 2019, so erklärt Ruebner weiter, war Engel ranghöchstes Mitglied (das ranghöchste Ausschussmitglied der Minderheitspartei) des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses und in den letzten zwei Jahren dessen Vorsitzender. Die Bedeutung dieser Positionen für die Formulierung der Außenpolitik des Kongresses könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Vorsitzende und die ranghöchsten Mitglieder bestimmen, wer als Zeuge geladen wird, welche Gesetzesentwürfe vor den Ausschuss gebracht werden, wie die Gesetzesentwürfe »markiert« (geändert) werden und welche Gesetzesentwürfe der Führung zur Abstimmung vorgelegt werden. Seine Führung des Ausschusses stelle beispielsweise sicher, dass der Gesetzesentwurf der Abgeordneten Betty McCollum (…), die sich für die Menschenrechte palästinensischer Kinder einsetzt, nie zur Abstimmung kommt.

Engels offensichtliche Niederlage sei auch deshalb von Bedeutung, weil sie den von der Israel-Lobby sorgfältig kultivierten Mythos der Allmacht und Unbesiegbarkeit


97       https://mondoweiss.net/2020/06/

apparent-bowman-victory-over-engel-is-a-monumental-collapse-for-israel-lobby/


durchbricht, der dazu diene, andere Kongressmitglieder in die Stille zu treiben. Eine Handvoll Namen besiegter Senatoren und Abgeordneter – Charles Percy, Paul Findley, Pete McCloskey, Cynthia McKinney, Earl Hilliard und Dennis Kucinich – werden routinemäßig von Freund und Feind gleichermaßen als angeblicher Beweis für die scheinbare Fähigkeit der Israel-Lobby angeführt, diejenigen auszuschalten, die als freundlich für die Rechte der Palästinenser gelten.

Diese Mythologisierung ignoriere den opportunistischen Charakter der Rolle der Israel-Lobby bei den Wahlniederlagen dieser etablierten Politiker. Obwohl die Unterstützung durch die Israel-Lobby zweifellos eine wichtige Rolle spielte, werden bei der Zuschreibung einer alleinigen Kausalität Veränderungen in der Demografie der Wahlbezirke, die Neueinteilung der Wahlbezirke und die Tatsache, dass altgediente Politiker den Kontakt zu ihren Wählern verloren haben, außer Acht gelassen – prosaischere, aber unbestreitbar wichtige, multivariable Erklärungen für ihre Anfälligkeit, wie der Autor meint.

Dass so etwas in Deutschland nicht passieren kann, dafür sorgt die »Parteiliste«, welche Vorwahlen im US-Sinn ersetzt. Aber zurück zum Artikel. Ruebner stellt dann fest, dass Engel ein erstklassiger Kandidat dafür zu sein schien, das Aushängeschild für die umgekehrte Anfälligkeit der Israel-Lobby zu werden. Der schwerfällige Dinosaurier hatte den Kontakt zu den sich wandelnden politischen Gefühlen und der demografischen Entwicklung in seinem Wahlkreis verloren.

»Wenn Bowman die üblichen AIPAC-Parolen vertreten würde, dann wäre sein Sieg über Engel keine so vernichtende Niederlage für die Israel-Lobby gewesen, sondern lediglich der unbequeme Verlust eines wichtigen Akteurs.

Bowmans offizielles Programm stellt ihn jedoch fest in den fortschrittlichsten Kreis der derzeitigen demokratischen Kongressabgeordneten und ist es wert, ausführlich zitiert zu werden:

Wir müssen auch ehrliche Gespräche über die Rolle unserer Regierung führen, die die anhaltende Besetzung der Gebiete des palästinensischen Volkes ermöglicht. Unsere Steuergelder sollten nicht dazu verwendet werden, den Ausbau von Siedlungen, den Abriss von Häusern und die Inhaftierung palästinensischer Kinder zu subventionieren oder die drohende israelische ‚Annexion‘ des Westjordanlandes in irgendeiner Weise zu unterstützen. Auch frühere Präsidenten wie Ronald Reagan und George H.W. Bush haben unseren finanziellen Einfluss genutzt, um den Frieden in der Region zu fördern. Wir müssen sicherstellen, dass die Unterstützung der USA dazu verwendet wird, die sehr realen Sicherheitsbedrohungen, denen Israel ausgesetzt ist, zu bekämpfen, und nicht, um die Besatzung zu festigen.

Die Tatsache, dass pro-israelische Protagonisten von AIPAC, einschließlich republikanischer Super-PACs, Millionen von Dollar in einem vergeblichen


Versuch ausgegeben haben, Bowmans Schwung und scheinbaren Sieg zu stoppen, ist eine Demütigung für die Israel-Lobby. Noch wichtiger ist, dass dies den Demokraten signalisiert, dass sie die angebliche Macht der Israel-Lobby nicht mehr zu fürchten brauchen und dass sie die wachsende Unterstützung für die Rechte der Palästinenser innerhalb der Parteibasis ansprechen und widerspiegeln können, selbst wenn sie gegen einen Israel-Befürworter der alten Schule wie Engel antreten.«98

Schade, dass es das System der Vorwahlen in Deutschland nicht gibt.

 

 

Im Juli 2020 zeichnete Carlos Latuff diese Karikatur, welche eine glühende Befürworterin der israelischen Politik darstellt, wie sie die New York Times verlässt, während diese enttäuscht erklärt: »Du willst, dass wir noch mehr pro-israelisch sind?«

Er schreibt dazu: »Oh, arme Bari Weiss. Sie ist nicht mehr bei der @nytimes. Jetzt muss sie ein anderes Ventil finden, um ihre pro-Israel, anti-palästinensische Propaganda zu verbreiten.«


Diese Geschichte hat aber mehr als eine personelle Bedeutung. Carolyn L. Karcher schreibt am 23. Juli 2020, dass das Kündigungsschreiben von Bari Weiss, mit der sie von der Position als Redakteurin der Meinungsseite der New York Times (NYT) zurücktrat, viel Aufmerksamkeit erregt habe. Die Kündigung sei von den Rechten wie Donald Trump jr, Ben Shapiro und Bil Maher, Ted Cruz, Marco Rubio und Kelly Loeffler gelobt worden.

98       https://mondoweiss.net/2020/06/

apparent-bowman-victory-over-engel-is-a-monumental-collapse-for-israel-lobby/


Die Autorin beschreibt, wie Bari Weiss behauptet hatte, dass Kollegen sie schikanieren würden, dass »intellektuelle Neugier« eine Belastung für die Times wäre. Dazu vertritt sie eine klare Haltung:

»Diese Behauptungen sind atemberaubend unehrlich, kommen sie doch von einer Redakteurin, die selbst systematisch jeden Meinungsartikel oder Leserbrief, der der Orthodoxie des von ihr vertretenen Pro-Israel-Establishments widerspricht, aus der Times verbannt hat.

Obwohl Weiss die Notwendigkeit betont, sich dem Tribalismus zu widersetzen und die zentrale Bedeutung des freien Gedankenaustauschs für eine demokratische Gesellschaft zu betonen Prinzipien, die ich voll und ganz unterstütze –, könnte nichts den ‚Tribalismus‘ besser veranschaulichen als die Zensur von Stimmen, die Israel kritisieren oder auf die inhärent undemokratische Natur eines Staates hinweisen, der Juden gegenüber Nicht-Juden privilegiert.

Ein eklatantes Beispiel für den Tribalismus, den die Meinungsseite der Times unter der Leitung von Weiss an den Tag legte, ist die Veröffentlichung eines Meinungsartikels mit dem Titel ‚An der Frontlinie des progressiven Antisemitismus‘ von Blake Flayton, einem Studenten der George Washington University, und das Versäumnis, auch nur einen einzigen der Briefe zu veröffentlichen, die von jüdischen Studenten an der George Washington University und anderen Universitäten eingingen und Flaytons Behauptungen über den Antisemitismus unter Progressiven und über die quasi universelle Unterstützung Israels unter jungen Juden widerlegten.«99

Karcher glaubt, dass die NYT ohne Bari Weiss viel besser dran ist. Vielleicht können die Op-Edund Leserbriefseiten jetzt endlich den bemerkenswerten Wandel widerspiegeln, der sich in der jüdischen Haltung gegenüber Israel und den Palästinensern vollzogen habe, wie die beiden Artikel von Peter Beinart »I No Longer Believe in a Jewish State« und »Yavne: A Jewish Case for Equality in Israel-Palestine« und Eric Altermans »In New York, Zionism and Liberalism Faced Off-And Liberalism Won« nach der Meinung der Autorin beweisen.

Sowohl Beinart als auch Alterman beschreiben einen langen Prozess der Auseinandersetzung mit den Widersprüchen zwischen ihrem Ideal von Israel als Zufluchtsort für Juden, der auch eine Demokratie für seine palästinensischen Bürger sein könnte, und ihrem wachsenden Bewusstsein für die brutale Unterdrückung, der die Palästinenser unter israelischer Herrschaft ausgesetzt sind.

Aber, so Karcher, mit jeder neuen Wahl, unabhängig davon, welche Parteien an die Regierung kommen, subventioniert Israel weiterhin jüdische Siedlungen in einem Gebiet, in dem die Palästinenser keine Staatsbürgerschaft, kein ordnungsgemäßes


Verfahren, keine Freizügigkeit und kein Recht haben,  die  Regierung  zu  wählen, die ihr Leben beherrscht, und so schließt Beinart: »Die schmerzliche Wahrheit ist, dass das Projekt, dem sich liberale Zionisten wie ich seit Jahrzehnten verschrieben haben ein Staat für Palästinenser, getrennt von einem Staat für Juden –, gescheitert ist. Es ist an der Zeit, dass liberale Zionisten das Ziel der jüdisch-palästinensischen Trennung aufgeben und sich das Ziel der jüdisch-palästinensischen Gleichheit zu eigen machen.«

Karcher weist darauf hin, dass auch Altermann ähnlich denkt, wenn er einräumt, und sie zitiert ihn: »Da Israel zunehmend illiberal wird nicht nur durch die Annexion, sondern auch durch offiziellen Rassismus, theokratische Regierungsführung und zunehmend antidemokratische Einschränkungen der Freiheiten seiner arabischen Minderheit –, ist es an der Zeit, den liberalen Zionismus aufzugeben. Der liberale Zionismus eine Sache, der ich mich mein ganzes Erwachsenenleben lang verschrieben habe – erscheint inzwischen wie ein Widerspruch.«

Altermans Artikel kommentiere ein weiteres Beispiel für das, was er im Untertitel als »eine Wende für die amerikanischen Juden« bezeichne: die Niederlage von Eliot Engel, des mächtigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, gegen Jamaal Bowman, einen afroamerikanischen ehemaligen Mittelschuldirektor. Wie Alterman anmerkt, nutzte Engel seine Position, um im Gleichschritt mit dem AIPAC und der ultrakonservativen Zionist Organization of America »hundertprozentige Unterstützung für Israel« zu leisten, während er die Bedürfnisse seiner Wählerschaft, von denen fast 60 Prozent Schwarze und Latinos sind, vernachlässigte.

 

»Kurz gesagt, es liegt ein Wandel in der Luft, und die Pro-Israel-Lobby kann ihn nicht länger dadurch verhindern, indem sie ihre Handlanger einsetzt, um gegnerische Stimmen zu zensieren und zu verleumden. Das ist die wahre Be- deutung des Rücktritts von Bari Weiss bei der New York Times.«100