Nach Gaza, die Westbank?
In der New York Times erklärt ein Artikel am 21. Juni[1], dass Israel geheime Pläne habe, auch die Westbank aus einem Status zu verändern, der das Gebiet von besetztem Land in ein untrennbar mit Israels verbundenes Gebiet macht. Nun ist das nicht wirklich neu, aber zum ersten Mal durch geleakte Reden auch in westlichen Medien als Information verfügbar. Es geht um einen geheimen Plan, wie die Westbank de facto annektiert werden könne, ohne dass die Weltgemeinschaft aufschreie.
Auf einer Tonbandaufnahme der Rede ist zu hören, wie der Beamte [bzw. rechtsextreme Politiker und Regierungsmitglied] Bezalel Smotrich bei einer privaten Veranstaltung Anfang des Monats andeutete, das Ziel sei es, zu verhindern, dass das Westjordanland Teil eines palästinensischen Staates wird. „Ich sage Ihnen, es ist mega-dramatisch“, sagte Herr Smotrich den Siedlern. „Solche Änderungen verändern die DNA eines Systems.“
Das, so der Artikel, widerspreche der offiziellen Position der israelischen Regierung, nach der angeblich Israel offen für Verhandlungen mit den Palästinensern sei. Der Oberste Gerichtshof Israels habe entschieden, dass Israels Herrschaft über das Gebiet einer vorübergehenden militärischen Besetzung unter der Aufsicht von Armeegenerälen gleichkomme und keiner dauerhaften zivilen Annexion, die von israelischen Beamten verwaltet wird. Was aber natürlich durch Völkerrechtler anders gesehen wird. Denn die Menschen in den besetzten Gebieten unterliegen der Rechtsprechung israelischer Militärgerichte seit Jahrzehnten. Eine Besatzung ist jedoch etwas Vorübergehendes. Aber an den Äußerungen der israelischen Regierung ist erkennbar, dass sie nicht daran denken, die Besatzung aufzugeben. Und durch die Ansiedlung von ca. 700.000, meist extremistischen Siedlern aus aller Welt, haben alle Regierung Israels Fakten geschaffen, so die Völkerrechtler, welche einer Annexion gleichkommen. Die Rede von Smotrich am 9. Juni bei einer Versammlung im Westjordanland ist nur ein weiterer Beweis unter tausenden.
Der NYT zufolge seien Teile des Plans in den letzten 18 Monaten bereits schrittweise eingeführt und einige Befugnisse bereits an Zivilisten übertragen worden. Er behauptete in der Rede, dass die israelische Regierung ein „separates Zivilsystem geschaffen“ habe. Aber um die internationalen Beobachter abzulenken, habe die Regierung dem Verteidigungsminister erlaubt, in den Prozess involviert zu bleiben, sodass es so aussehe, als sei das Militär immer noch das Herzstück der Westjordanland-Regierung.
„‘Im internationalen und rechtlichen Kontext wird es leichter zu schlucken sein‘, sagte Herr Smotrich. ‚Damit sie nicht sagen, wir würden hier Annexion betreiben.‘ Reporter der New York Times hörten sich eine Aufzeichnung der etwa halbstündigen Rede an, die von einem der Teilnehmer, einem Forscher von Peace Now, einer Anti-Besatzungs-Kampagnengruppe, zur Verfügung gestellt wurde. Ein Sprecher von Herrn Smotrich, Eytan Fold, bestätigte, dass er die Rede gehalten hatte, und sagte, die Veranstaltung sei kein Geheimnis.“[2]
Die Autoren des Berichtes führen aus, dass Smotrich behauptet habe, dass Netanjahu Details des Plans kennen würde, und dass viele bereits in einer Koalitionsvereinbarung enthalten wären. Netanjahu stehe hinter diesen Plänen, die ihn an der Macht halten würden.
Wenn die Regierung zusammenbreche, könnte eine zukünftige Koalition die Änderungen rückgängig machen, aber Regierungsmaßnahmen im Westjordanland blieben in der Vergangenheit normalerweise auch unter aufeinanderfolgenden Regierungen bestehen.
Palästinenser hatten seit Jahren erklärt, dass die israelischen Führer versuchen, das Westjordanland in jeder Hinsicht zu annektieren, indem sie an strategischen Orten Siedlungen bauen, um eine zusammenhängende palästinensische Kontrolle über das gesamte Gebiet zu verhindern. Aber westliche Medien und Politiker hatten immer wieder behauptet, Israel und sie würden eine Zwei-Staaten-Lösung anstreben.
Und natürlich wird von der Regierung Israels ein solcher Plan geleugnet, und behauptet, dass der endgültige Status von den Parteien in Verhandlungen festgelegt würde. Eine blanke Lüge, die alleine durch die Siedlungspolitik als absurd zu erkennen ist.
Tatsache ist, so erklärt der Artikel auf Grund von Äußerungen der israelischen Regierung, dass Militäroffiziere den größten Teil des Prozesses, durch den israelische Siedlungen erweitert, Land enteignet und Straßen im Westjordanland gebaut werden, nicht mehr überwachen. Diese Rollen werden jetzt von „einem Zivilisten überwacht, der dem Verteidigungsministerium untersteht“, der nicht für Militärkommandanten arbeite. Dieser Zivilist unterstehe dem Ministerium von Smotrich.
Diese Erweiterungen von Siedlungen halten nun bereits seit 1967 an und sind eindeutig eine schleichende Annexion, muss man in diesem Zusammenhang erkennen. Die Autoren der NYT meinen, dass der internationale Druck wachse, einen palästinensischen Staat auszurufen, der das Westjordanland und Gaza umfasst, während Israel insgeheim daran arbeite, genau das unmöglich zu machen. Wobei man eigentlich das insgeheim längst weglassen sollte.
„Diplomaten versuchen, einen ‚großen Deal‘ für den Nahen Osten zu erreichen, der sowohl den Krieg Israels mit der Hamas im Gazastreifen beenden als auch Israels Beziehungen zu anderen Nationen in der Region verbessern würde. Saudi-Arabien zum Beispiel sagt, es werde Israel anerkennen – aber nur, wenn Israel im Gegenzug die palästinensische Eigenstaatlichkeit zulässt.
Die Rede von Herrn Smotrich lässt vermuten, wie weit diese Aussicht noch entfernt sein könnte, während er versucht, die Verwaltung des besetzten Westjordanlands mit der Verwaltung des Staates Israel zu verschmelzen.“[3]
Aber auch innerhalb Israels gibt es kritische Stimmen. So zitiert der Artikel Talia Sasson, eine ehemalige Beamtin im israelischen Justizministerium, welche 2005 eine einflussreiche Regierungsuntersuchung zur Unterstützung illegaler Siedlungen durch die Regierung geleitet hatte. Sie sagte, Smotrich „untergräbt grundlegend das langjährige Argument des Staates Israel, dass die Siedlungen legal seien, weil sie vorübergehend seien“.
Die Journalisten der NYT schließen aus den Aussagen, dass Israels einst marginale Siedlerbewegung inzwischen sehr mächtig innerhalb der israelischen Gesellschaft wurde. Sie weisen darauf hin, dass Smotrich ein langjähriger Siedleraktivist ist, der einst außerhalb des israelischen Establishments arbeitete, um Siedlungen zu errichten, die selbst nach israelischem Recht als illegal gelten. Als religiöser Hardliner glaube er, dass das Westjordanland – das die Israelis mit seinen biblischen Namen Judäa und Samaria bezeichnen – den Juden von Gott gegeben wurde.
Als Abgeordneter der Knesset habe Smotrich in den letzten 10 Jahren Aufmerksamkeit erregt, weil er regelmäßig extremistische Kommentare abgab, darunter seinen Aufruf zur Zerstörung einer palästinensischen Stadt, seine Unterstützung der Trennung zwischen Arabern und Juden in Entbindungsstationen und seine Unterstützung jüdischer Landbesitzer, die ihr Eigentum nicht an Araber verkaufen.
Seit Ende 2022 hat Herr Smotrich außerordentlichen Einfluss auf die Regierungspolitik gewonnen. Damals schloss sich seine Partei der Koalition von Premierminister Benjamin Netanjahu an und verhalf ihr zu einer knappen Mehrheit im Parlament. Sein gewachsener Einfluss habe dazu geführt, dass Netanjahu ihm sowohl das Verteidigungs- als auch das Finanzministerium zugewiesen hat. Was Smotrich dann genutzt habe, um Gelder für die palästinensische Autonomiebehörde zu blockieren, welche Israel treuhänderisch verwaltet.
Der NYT-Artikel berichtet dann weitere Einzelheiten aus der Rede Smotrichs. Er habe sich damit gebrüstet, viele der Aufgaben des Militärs im Westjordanland unter zivile Kontrolle gestellt zu haben. Während die Armee bei der Siedlungserweiterung oft ein Auge zugedrückt habe und sogar nicht genehmigte Siedlungen vor palästinensischen Angriffen schütze, haben Soldaten doch manchmal auch illegale Siedlungslager zum Aufbau neuer Siedlungen, die ohne die Genehmigung der Regierung errichtet worden waren, zerstört. Um dem entgegenzuwirken, habe die Regierung unter seiner Verantwortung mehrere Maßnahmen ergriffen.
Zunächst sei Zivilisten mehr Kontrolle über Siedlungsbaupläne sowie Aufsicht über die Anwälte gegeben, die über Rechtsfragen in den Siedlungen entscheiden.
Dann habe man dem obersten Befehlshaber der Armee im Westjordanland die Befugnis entzogen, Siedlungsbaupläne zu blockieren.
Er habe fast 270 Millionen Dollar aus dem israelischen Verteidigungshaushalt gesichert, um die Siedlungen in den Jahren 2024-2025 zu bewachen.
Schließlich sei er der Einrichtung einer neuen Organisation nähergekommen, die palästinensische ebäude im Westjordanland, die ohne israelische Erlaubnis errichtet wurden, schneller abreißen könnte.
Der ganze Vorgang zeigt auf, wie heuchlerisch westliche Politiker sind, welche behaupten, dass Israel Palästina ja nur vorübergehend besetze, und man an einer Zwei-Staaten-Lösung arbeite, welche nur wegen des palästinensischen Widerstandes nicht realisiert werden würde.