Deutschland = Rechtsstaat? (29.11.2025)

 

„Deutschland ist doch ein Rechtsstaat“ polemisieren immer wieder Politiker, wenn Kritik aufkommt. Man könne ja klagen.

Ist Deutschland tatsächlich ein Rechtsstaat im wahrgenommenen Sinn, nämlich dass die Justiz die Bevölkerung vor der Willkür des Staates schützt? Was bedeutet es, wenn der Wahlausschuss des deutschen Bundestages eine Neuauszählung der letzten Bundestagswahl verweigert?

Das sich selbst Bestätigende

Der Wahlprüfungsausschuss – dessen Zusammensetzung die Fraktionsstärken im Bundestag widerspiegelt (Mehrheit: SPD und Union) – wird den Einspruch des BSW ablehnen. Angeblich habe es keine Verstöße und keine Wahlfehler gegeben; der Einspruch sei unbegründet. Was bedeutet dies für unsere Einschätzung von „unserer Demokratie“?

Zunächst muss man definieren, was der Begriff Rechtsstaat überhaupt bedeutet. Im Prinzip zunächst lediglich, dass sich der Staat an seine eigenen Gesetze hält. D.h. auch eine Diktatur ist ein Rechtsstaat, solange der Staat die eigenen Gesetze beachtet. Aber natürlich wird der Begriff längst erweitert wahrgenommen. Nämlich dergestalt, dass die Justiz den Einzelnen vor der Übergriffigkeit des Staates schützt.

Schützt die Justiz noch vor dem Staat?

Dass dies nicht mehr gegeben ist, hatte Corona gezeigt. Die Justiz erklärte, nicht in die Beweisaufnahme gehen zu müssen, weil der Staat etwas behauptet hatte. Genauer gesagt: Mit Hinweis auf „RKI sagte“, also mit Hinweis auf eine durch Weisung der Regierung bestimmte Organisation, wurde eine Tatsachenbehauptung des Staates als gegeben angenommen. Eine Verweigerung der Beweisaufnahme, d.h. das Hinterfragen dieser Tatsachenbehauptung ist aber m.E. gleichbedeutend mit der Akzeptanz einer Willkürhandlung.

Die Angst vor Mandatsverlusten

Im Fall der derzeitigen Diskussion über die Neuauszählung der Stimmen, angesichts der offensichtlichen und nicht zu leugnenden Falschzählung zulasten von BSW wird noch offensichtlicher, welche Fehler die Gründer der Bundesrepublik Deutschland bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung gemacht hatten. Obwohl, genau genommen waren es aus der Sicht der Siegermächte keine Fehler, denn es war die Voraussetzung, um die Entwicklung Deutschlands zu kontrollieren. Indem politische Parteien, mit ein paar dutzend Führungskräften, die Politik bestimmten, und damit auch alle Säulen der so genannten „Gewaltenteilung“, die heute nur eine Aufteilung der Macht darstellt, aber nicht eine konkurrierende Macht repräsentiert. Wäre die Macht von 80 Millionen Bürgern ausgegangen, wäre die Kontrolle wesentlich schwieriger gewesen.

Das Primat der Politik

Angela Merkel nannte es „das Primat der Politik“, die Politik, auch gegen den Willen und die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung zu bestimmen, und befand dies als vollkommen in Ordnung. Ihre Rede im Jahr 2010 hat kaum Beachtung gefunden, obwohl sie dramatisch das fehlerhafte Demokratieverständnis der deutschen Politikelite entlarvte. Sie hatte ganz offen erklärt, dass alle wichtigen Entscheidungen seit Gründung der BRD GEGEN den Willen der Bevölkerung erfolgte, und sie befand dies auch für die Zukunft völlig in Ordnung.

Der Konsens der „staatstragenden Parteien“ ist im Prinzip „der Staat„. Und im Fall der Bewertung einer Bundestagswahl, hat dieser Konsens das Recht, selbst darüber zu entscheiden, ob der Machtstatusquo erhalten werden soll, oder ob er einer Neuauszählung zustimmen will, welche die Machtverhältnisse verändern würde. Wenn also der Konsens der „staatstragenden Parteien“ in eigener Sache zum eigenen Vorteil entscheidet, keine Auszählung zuzulassen, ist das der letzte Beweis für fehlende Grundlagen einer demokratischen Ordnung. Mal abgesehen davon, dass nun das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann, dessen Richter durch eben jene Politiker ausgewählt worden waren. Und mal ganz abgesehen davon, dass die Informationspolitik die wichtigste Basis einer solchen Ordnung darstellt.

„GewaltAUFenteilung“

Und so ist es im Rest der Funktionen der Gewaltenteilung ebenso. Wer als Abgeordneter kandidieren darf, wem also die Wähler ihr OK geben dürfen, bestimmen die Parteien. Und in Deutschland gibt es weniger unabhängige Abgeordnete im Parlament als in China oder Vietnam. Diese Abgeordneten wählen dann im Bundestag die Regierung, die sie eigentlich kontrollieren sollten. Wir erinnern uns, wie es mal gedacht war: Die Regierung ist der Verwalter, dem der Wähler sein Vertrauen gibt, die gewählten Vertreter des Volkes stellen die Regeln auf, nach dem Willen des Volkes, und kontrollieren die Regierung, dass sie diese Regeln einhält. Theoretisch.

Und die Justiz? Die Anklagebehörden erhalten ihre Weisungen von den Parteien via Justizminister, und die Richter werden durch die gleichen Politiker bezahlt und gefördert. Um ganz sicher zu sein, dass keine falschen Entscheidungen gefällt werden, besetzt man die allerhöchsten Richterämter am liebsten gleich mit den eigenen Leuten. Also potentielle Einbrecher bestimmen selbst darüber, wer einmal über ihre Einbrüche richten sollte.

Und damit auch wirklich nichts schief geht, gibt es keine gesetzlichen Bestimmungen, welche Verstöße gegen das Grundgesetz, also das allerhöchste Gesetz der Bundesrepublik Deutschland, durch Politiker unter Strafe stellt. Richtig: Jeder falsche Pups eines Bürgers ist inzwischen von Strafen bedroht, aber nicht ein Verbrechen gegen die Verfassung.

Im April 2024 hat die Stadt Berlin den Palästina-Kongress in Berlin gewaltsam von der Polizei auflösen lassen. Eingeladen waren neben dem ehemaligen griechischen Finanzminister Varoufakis auch palästinensische Stimmen aus Gaza wie etwa Ghassan Abu-Sittah. Die Veranstalter, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, klagten gegen die Stadt Berlin wegen des Verbots. Sie gewannen nun vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Verbot und Auflösung waren rechtswidrig. Und die Folge? NICHTS. Nein, das Recht hat nicht gesiegt. Das Recht HÄTTE gesiegt, wenn die Verantwortlichen für die Rechtsbrüche zur Verantwortung gezogen würden. Wenn schon nicht strafrechtlich, dann zumindest zivilrechtlich, indem sie die Kosten für eine Wiederholung der Veranstaltung hätten übernehmen müssen. Aber das haben die politischen Parteien vorsorglich nicht vorgesehen. Jetzt wissen wir, was „regelbasiert“ bedeutet.

Fazit

Angesichts der Geschichte der Weimarer Republik mit seiner teilweise chaotischen Politik, war die Idee bei der Gründung der BRD, dass STABILITÄT wichtiger sei als DEMOKRATIE. Deshalb wurden politische Parteien als Kontrolleure über den Wähler gestellt. Sie sollten außerdem verhindern, dass der Wähler wieder Dummheiten machte, und einen neuen „Führer“ wählt. Die Hoffnung war, dass sich die politischen Parteien gegenseitig kontrollieren würden, und außerdem Politiker über einen hohen ethischen Standard verfügten. Annahmen, welche schon in der Antike hinterfragt wurden, und sich nun offensichtlich als falsch erwiesen. Durch den Zwang zu Koalitionen sollte außerdem sicher gestellt werden, dass extreme Politik am Konsenszwang scheitert.

Versuchen Sie, nicht in Gelächter auszubrechen, wenn ein Politiker wieder behauptet, Deutschland sei ein Rechtsstaat.

Erstveröffentlichung: https://tkp.at/2025/11/29/deutschland-rechtsstaat/