Die Immunität von Politikern (07.06.2025)

Bisher wurde Deutschland von einer „Demokratie der Repräsentanten“ beherrscht. Das änderte sich aber in letzter Zeit zu einer „Oligarchie der Repräsentanten“. So dass sich das deutsche Staatswesen immer weiter von der immer wieder beschworenen „repräsentativen Demokratie“ entfernt. Das hat auch Folgen für die Immunität von Politikern. Schauen wir es genauer an.

In der „Demokratie der Repräsentanten“ gab es demokratische Verfahren, die in Koalitionsverhandlungen, in Ausschussarbeit und in föderalen Regeln ihren Ausdruck fanden. D.h. es gab eine gewisse Demokratie innerhalb der politischen Führung des Landes. Es war nicht direkt die Umsetzung des „Volkswillens“, denn dazu hätte es eines imperativen Mandats bedurft, oder einer Möglichkeit, auch nach dem Einwurf der Stimme in die „Urne“, Einfluss auf die gewählten Vertreter zu nehmen. Deshalb ist der Begriff „repräsentative Demokratie“, welche vorspiegelt, dass die Repräsentanten den Willen des Volkes widerspiegeln würden, in die Irre führend. Aber es war eine „Demokratie der Repräsentanten“.

Genau das hatte Angela Merkel bereits 2010 in einer Rede öffentlich und ehrlich erklärt. Nämlich dass der Wille des Wählers NICHT für die Taten und Entscheidungen der Politiker entscheidend ist, sondern die Meinung der Repräsentanten, und dass alle wichtigen Entscheidungen nach dem Krieg, GEGEN den Willen der demoskopischen Mehrheit gefällt worden waren. (Übrigens hat Demokratie nichts damit zu tun, dass demokratische Entscheidungen „besser“ sind als autokratische. Aber das führt jetzt hier zu weit.)

Aber aus dieser „Demokratie“ wurde in den letzten Jahren eine „Oligarchie der Repräsentanten“. Die Begründung findet sich in der Tatsache, dass die im „Konsens der staatstragenden Parteien“ Deutschlands agierenden Protagonisten inzwischen einem Teil der Repräsentanten das Recht absprechen, in den demokratischen Prozessen der Vertreter des Wählers mitzuspielen. Dazu gehört die Verweigerung der Auszählung von Wählerstimmen, um das BSW aus dem Bundestag fern zu halten, ebenso wie die Verweigerung, der AfD die sonst allen anderen Parteien zustehenden Ämter als Vorsitzende und nun sogar stellvertretenden Vorsitzende von Ausschüssen und Parlamenten zu verweigern. Gleichzeitig schließt man die AfD in parlamentarischen Meinungsprozessen weitgehend aus, sie darf also in der „Demokratie der Repräsentanten“ gar nicht ernsthaft mitreden. Es wird „Brandmauer“ genannt.

Die Folge ist, dass man nun nicht einmal mehr von einer „Demokratie der Repräsentanten“ sprechen kann, sondern die nächste Stufe des Autoritarismus bemühen muss, und zur Auffassung kommt, dass es sich um eine „Oligarchie der Repräsentanten“ handelt. Eine Herrschaft von Repräsentanten, welche anderen Repräsentanten das Recht absprechen, mitzuentscheiden. (Wie die „Repräsentanten“ zu denselben werden, müsste man separat noch einmal beleuchten.)

Die Unantastbarkeit

Dieser immer größere Abstand der „Volksvertreter“ von dem Willen des Volkes wird begleitet von einer immer sichtbareren Immunität von Politikern der „staatstragenden Parteien“, des abgeschotteten Clubs von elitären „Vordenkern“.

Die neue Aristokratie genießt Immunität. Begonnen hatte diese Entwicklung 1968 mit den ersten Notstandsgesetzen. Sie waren nicht notwendig, denn Helmut Schmidt hatte bewiesen, dass die Überschreitung von Kompetenzen von Politikern nicht zu Bestrafung, sondern, wenn sie gerechtfertigt war, mit Beförderung belohnt wurden. Hatte er beim Jahrhunderthochwasser in Norddeutschland die Macht an sich gerissen um Menschenleben zu retten, und Entscheidungen gefällt, die nicht im Einklang mit der Verfassung standen, war er später sogar dafür belobigt worden und Bundeskanzler der jungen BRD. Also wofür benötigte man Notstandsgesetze?

Nun, das Ziel der Notstandsgesetze und hunderter weiterer folgenden Gesetze in den folgenden Jahrzehnten hatten nur einen Zweck: Politiker mit Immunität zu versehen, sollten sie UNGERECHTFERTIGT ihre Kompetenzen überschreiten und gegen das Grundgesetz verstoßen.

Aber war das überhaupt notwendig?

Schließlich hatten die Politiker des Parteienkonsens beschlossen, die Gebote und Verbote des Grundgesetzes gar nicht ins Strafrecht aufzunehmen. Deshalb konnten sie auch gar nicht wegen Verstößen gegen das Grundgesetz bestraft werden. Mit einer Ausnahme: Kurz nach dem Krieg war der Geist des letzten Krieges so stark, dass das Kriegsverbot des Grundgesetzes in Artikel 80 des StGB ausformuliert wurde.

Aber nachdem dieses „Kriegsverbot“ in den Augen der politischen Elite obsolet geworden war, und die Bundesanklagevertreter immer hanebüchenere Ausreden erfinden mussten, um Anzeigen gegen die Bundesregierung nicht nachgehen zu müssen, wurde diese letzte Erinnerung an das Grundgesetz im Strafrecht zum 1.1.2017 stillschweigend gelöscht.

Und wieder bediente man sich dabei der Ausrede, die EU würde das erzwingen. Gerade so, als ob Deutschland seine Souveränität abgegeben hätte, und die EU darüber bestimmen würde, wie Deutschland Vergehen gegen seine Verfassung ahndet. Denn natürlich waren die Regeln im Völkerstrafrecht keinerlei Ersatz.

Wie wir am Beispiel des Angriffskriegsverbots dramatisch erkennen, waren die Ankläger von den entsprechenden Justizministern ausgewählt und Minister waren ihnen gegenüber weisungsberechtigt. Mit anderen Worten: Welcher Staatsanwalt würde wohl eine Anklage gegen seinen eigenen Chef führen? Darüber hinaus war das Versprechen der Gewaltenteilung aus dem Grundgesetz vom Konsens der politischen Parteien auch in Hinsicht auf die Abhängigkeit der Richter von Politikern hinsichtlich Karriere und Bezahlung nicht eingehalten worden.

Aber noch ein weiterer Grund hatte diese Regelungen der Immunisierung der Politiker gegen Verfehlungen eigentlich unnötig gemacht. Denn neben der Tatsache, dass es keine Strafgesetze gab, mit denen Verfehlungen gegen das Grundgesetz bestraft werden konnten, waren die wichtigsten Richter an Verfassungsgerichten durch die „Demokratie der Repräsentanten“ ernannt worden. Zuletzt sogar ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU zu einem der höchsten Richter von allen.

Aber wenn es dann doch passierte, dass Politiker, welche selbst über die Gesetze bestimmen, unter denen sie herrschen sollen, gegen ebendiese verstießen, gab es noch eine weitere Methode, dies zu verhindern. Durch Beförderung in einen Internationalen Job mit Immunität. Das Beispiel der für die Wähler nie zur Wahl gestandenen, völlig überraschend als EU-Kommissionspräsidenten auserwählten Politikerin von der Leyen dürfte jeder kennen. Und interessanterweise hatte der Konsens der Demokraten sicher gestellt, dass Verjährungsfristen durch Immunität nicht beeinträchtigt werden.

Letzteres ist auch wichtig im Fall des letzten Rettungsankers für Mitglieder des Konsenses (natürlich nur für die). So konnte man in diesen Tagen lesen, wo die Grenzen zwischen der Oligarchie der Repräsentanten und den noch nicht dazu gehörenden, bzw. qualifizierten Bundestagsabgeordneten verliefen.

„Ohne Aussprache hat der Bundestag am Donnerstag, 5. Juni 2025, einstimmig zwei Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (21/387, 21/388) zugestimmt. Damit genehmigte das Parlament die Durchführung von Strafverfahren gegen den AfD-Abgeordneten Prof. Dr. Ingo Hahn sowie die Abgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke).  Die Durchführung eines Strafverfahrens gegen Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) genehmigte das Parlament mehrheitlich nicht. Auch hierzu lag eine entsprechende Beschlussempfehlung des Immunitätsausschusses vor (21/389). (ste/05.06.2025)“

Erstveröffentlichung: https://tkp.at/2025/06/07/die-immunitaet-von-politikern/