From the River to the Sea

 

From the River to the Sea…

Im Juli 2024 wird ein Slogan der Demokratiebewegung in Israel, welche vom Bundesinnenministerium in Deutschland verboten worden war, durch ein Gericht als nicht strafwürdig beurteilt. Die Strafkammer eines Landgerichtes meint, dass die Aussage „From the River to the Sea, Palestine will be free“ (Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein), nicht strafbar ist. Und die Kammer wagt es sogar, Kritik am Ministerium zu äußern. Bevor wir zu diesem Vorgang kommen, aber kurz eine Erklärung, die ich schon im Mai 2023 verbreitet habe, welche aber den Politikern wohl nicht überzeugend genug war.

Die Befreiung Palästinas und das Schicksal der Israelis

So lautet die Überschrift eines Artikels, der in Mondoweiss.net erschien[1]. Der Artikel gibt die Rede von Eitan Bronstein Aparicio wieder, die auf der Konferenz „Vom Fluss bis zum Meer, Visionen der palästinensischen Befreiung“ am 11. Februar 2023 gehalten wurde. Diese Rede drückt die Gedanken der Mehrheit der Palästinenser und einer Minderheit der Israelis aus und sie beseitigt einige Vorurteile, die auch in den deutschen Medien verbreitet werden, man möchte sagen, bewusst verbreitet werden.

Der Titel dieser Konferenz, „mag für einige nicht angenehm sein“, meint Aparicio, und erklärt, dass dies auch für Sympathisanten des palästinensischen Kampfes gelte.  Damit greift er die Behauptung der Medien auf, dass damit angeblich die Vernichtung alles jüdischen Lebens in Palästina gemeint sei.

Er beantwortet dann aber, was wirklich damit gemeint ist, indem er erklärt, WOVON befreit werden soll. Die Antwort sei einfach: Befreiung vom Zionismus. Befreiung von der rassistischen und kolonialen Vorstellung und Realität, die mit der nationalen jüdischen Bewegung, die im 19. Jahrhundert in Europa entstand, aufkam und ihr politisches Projekt verwirklichte: ein rein jüdischer Staat im Nahen Osten.

In den Anfängen habe es verschiedene zionistische Auffassungen gegeben. Zum Beispiel die Idee, eine jüdische Gemeinschaft und Kultur in “Zion“, Eretz Israel auf Hebräisch, zu haben, ohne eine jüdische Souveränität zu schaffen. Doch schließlich sei daraus ein politisches Gebilde jüdischer Exklusivität entstanden, sowohl im Staat Israel als auch auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas. Die einheimische palästinensische Bevölkerung sei während der Nakba größtenteils vertrieben worden, und heute sei ihr Aufenthalt, sowohl als Bürger als auch als besetzte Subjekte, stets an Bedingungen geknüpft.

Natürlich sollten die Palästinenser vom Zionismus befreit werden, da sie dessen ständige Opfer sind, meint der Autor, aber auch die Israelis würden einen Preis bezahlen, dass sie Kolonisatoren sind, und dies auf mentaler Ebene überwinden müssen. Darüber hinaus leisten die Juden weltweit einen Preis für die gewalttätige und rassistische Politik Israels, da letztere den Hass und Antisemitismus verstärkt.

Der Autor sagt, er wisse, dass einige den obigen Titel als “Befreiung von den Juden in Palästina” interpretieren und darunter eine judenfreie Zone verstehen könnten. Er führt aus, dass die Anmaßung, sich als Vertreter aller Juden zu bezeichnen aber von immer mehr jüdischen Menschen außerhalb Israels abgelehnt wird. Nicht zuletzt dieser Anspruch Israels, ALLE Menschen jüdischen Glaubens in der Welt zu vertreten, habe zu dem zunehmenden Hass gegenüber Juden in der Welt geführt. Übrigens sind das nicht nur religiöse Juden, welche den Zionismus als Todfeind des Judaismus bezeichnen, sondern auch liberale jüdische Menschen, die sich als Staatsangehörige des Staates fühlen, in dem sie leben.

Der Autor erklärt, er sei Israeli und spreche auch als Israeli, auch wenn er seit drei Jahren nicht mehr in Israel lebe.

 „Ich bin ein Israeli nicht nur im formalen und rechtlichen Sinne und nicht nur, weil ich ein Jude bin, der 55 Jahre lang in Israel gelebt hat, sondern weil Israel meine Heimat ist. Ich trage seine Sprache und Kultur mit mir; meine gesamte politische Tätigkeit findet in und für Israel statt, und meine Kinder und Enkelkinder leben dort. In Europa bin ich ein Fremder. Ich fühle auch mit den Israelis, ich sorge mich um sie, und deshalb tue ich, was ich kann, damit sie nicht mehr die Besatzer sind, die sie seit 1948 sind.“[2]

Um also auf den Titel der Veranstaltung zurückzukommen, schlägt er vor darüber nachdenken, was mit den Israelis in Palästina geschehen werde, wenn die Befreiung komme und Gerechtigkeit und Gleichheit herrschen werden. In dieser Situation werde es keinen Kompromiss mit dem Zionismus geben, nicht nur, weil er keine moralische Ideologie sei, sondern einfach, weil es keine Möglichkeit gebe, einen Kompromiss über Macht und Land mit denen zu schließen, die dies als ihr ausschließliches Eigentum betrachten.

„Aber Israelis als Menschen könnten sich ändern und sich dafür entscheiden, keine Zionisten zu sein, wie es bei vielen von uns, mich eingeschlossen, der Fall war.“[3]

Wie könne dieser ideologische Wandel stattfinden? Fragt Aparicio und verweist auf das Buch, „Nakba: The Struggle to Decolonize Israel“, dass gerade auf Englisch veröffentlicht wurde (nach den hebräischen und französischen Versionen) und als Handbuch für die Dekolonialisierung Israels gelesen werden könne.

Im Grunde sei die Entkolonialisierung des Selbst ein Bildungsprozess. In Israel sollte dies bedeuten, die Geschichte des Landes zu verlernen, Arabisch zu lernen, den Dienst in der Armee zu verweigern, sich die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge vorzustellen und vieles mehr.

Aus der Geschichte müsse man lernen, dass keine Kolonialmacht ihre Herrschaft aufgegeben habe, nur weil sie eingesehen hat, dass es keine gute Idee ist, ein Kolonist zu sein. Kolonisten müssten besiegt werden, was hoffentlich bald mit Israel geschehen werde. Hoffentlich werde die Niederlage durch wirtschaftliche, politische und kulturelle Boykotte herbeigeführt, wie im Fall der südafrikanischen Apartheid, aber vielleicht müsse die Welt auch physische Gewalt anwenden oder zumindest Israel an der Nutzung seiner massiven tödlichen Waffen hindern.

Und wenn der Tag der Befreiung Palästinas komme, würden die Israelis vor einer ähnlichen Entscheidung stehen wie die französischen “Pied-Noirs” in Algerien 1962, als das Friedensabkommen mit Frankreich unterzeichnet wurde: zu bleiben und als Gleichberechtigte zu leben oder zu gehen und in die französische Metropole zurückzukehren. Algerien sei ihre Heimat gewesen, da es 132 Jahre zuvor kolonisiert worden war, so dass die meisten europäischen Siedler mehrere Generationen lang dort gelebt hatten, fast doppelt so lange wie die israelische Kolonie in Palästina existiert.

Die meisten von ihnen hatten sich entschieden, Algerien zu verlassen, berichtet der Autor. Sie rannten in Panik weg, aus Angst vor dem Tag, an dem ihre Herrschaft zu Ende sein würde. Aber in Wirklichkeit habe es keine wirkliche existenzielle Bedrohung für sie gegeben. Sie seien gegangen, weil sie in ihrer eigenen kolonialen Identität gefangen waren. Mit anderen Worten: Sie konnten sich keine Situation vorstellen, in der sie gleichberechtigt mit den Algeriern leben würden. Und sie hätten einen hohen Preis dafür bezahlt, dass sie von ihrer eigenen Besatzermentalität aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Fast eine Million Franzosen haben innerhalb weniger Monate ihre Heimat verlassen, aber 200.000 Franzosen hatten sich entschieden, im befreiten Algerien zu bleiben und dort zu leben. Aus ihren Berichten könne man erfahren, dass sie Algerien als ihre Heimat ansahen und keinen Grund hatten, sie zu verlassen. Die koloniale Identität habe sie nicht vereinnahmt.

Hoffentlich werde dies auch bei den Israelis der Fall sein, und er meint, dass viele von ihnen sich entschließen werden, in Palästina zu bleiben, um in Gleichheit und Gerechtigkeit mit den Palästinensern in einem Staat zu leben und zu versuchen, die Beziehungen zwischen Juden, Muslimen und Christen in der arabischen Welt wiederherzustellen.

„Abschließend möchte ich eine konkrete spekulative Hypothese aufstellen, die sich auch auf die Geschichte des französischen Kolonialismus in Algerien stützt. Vielleicht läutet die heutige rechtsextreme Regierung in Israel sein Ende ein. 1961, gegen Ende des französischen Kolonialismus, tauchte eine gewalttätige Terrororganisation namens OAS (Organisation Armée Secrète oder “Geheime Armeeorganisation“) auf und forderte viele Opfer, hauptsächlich Algerier, aber auch antikoloniale Franzosen, um die Befreiung Algeriens zu verhindern. Vielleicht ist die äußerst gewalttätige israelische Regierung, deren Mitglieder zum Teil sogar nach israelischem Recht kriminell sind, ein Zeichen für das letzte Aufbäumen des Zionismus? Hoffen wir es.“[4]

Soweit der Artikel. Ich habe mit einigen Nachkommen von Kolonisten in Südafrika und Namibia gesprochen. Niemand hatte sich vorstellen können, dass die Apartheid in Südafrika einmal enden würde. Und dann kam doch die Befreiung, und entgegen ihren Erwartungen gab es keine wilde Vertreibung oder Verfolgung. Von einigen rassistischen Ausfällen in Südafrika abgesehen, die aber auch auf der Seite der weißen Bevölkerung immer noch beobachtet werden können.

Die Namibier, die ich hier kennenlernte und die mehrere Pässe besitzen, fühlen sich inzwischen alle als Namibier und sind stolz darauf. Warum sollte das nicht auch in Israel möglich werden?

Die Rechtsprechung in Deutschland

In einem Artikel der Legal Tribune Online erklärt Dr. Max Kolter, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die „günstigste, nicht fernliegende Deutungsmöglichkeit“ zugrunde legt. Mit anderen Worten: So lange der Ausrufende nicht ausdrücklich die Billigung schwerer Straftaten wie Mord oder Völkermord verlangt, muss davon ausgegangen werden, dass im Zweifel für die Meinungsfreiheit entschieden wird, und der Ausspruch straffrei bleibt.

Der Artikel geht auch darauf ein, dass das Landgericht Mannheim[5] in seinem Urteil zu dem Schluss kommt, dass eine straflose Interpretation nicht ausgeschlossen werden kann.

„Während die Staatsanwaltschaft Karlsruhe schon im September auf diesem Standpunkt gestanden hat, veränderte die BMI-Verfügung die Praxis vieler Behörden: Waren sie vorher gar nicht auf die Idee gekommen, wegen §§ 86, 86a StGB einzuschreiten, konnten die Versammlungsbehörden die Parole nun unter Hinweis auf die mögliche Strafbarkeit auf Versammlungen verbieten. Bundesweit gaben einige Generalstaatsanwaltschaften bekannt, die Verwendung der Parole konsequent zu verfolgen – obwohl die Zuordnung des Slogans zur Hamas durch das BMI gerichtlich voll überprüfbar ist.[6]

Auch das LG Mannheim stellte unmissverständlich klar, an die Einschätzung des BMI nicht gebunden zu sein: Die verbotene Organisation müsse sich ein Kennzeichen selbst zu eigen machen; eine "Zuschreibung durch Außenstehende" genüge nicht. Die Strafkammer verwies zudem darauf, dass "erhebliche Zweifel erhoben worden sind, ob das Verbot mit Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar ist und nicht auch gegen die staatliche Neutralitätspflicht und das Diskriminierungsverbot verstößt". Dabei nahm das Gericht Bezug auf eine – vom hessischen Verwaltungsgerichtshof bestätigte[7] – Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main. Dieses hatte die Hamas-Verbotsverfügung in Bezug auf das Parolenverbot wegen der zu pauschalen Einschränkung der Meinungsfreiheit für teilnichtig gehalten.“[8]

Allerdings, darauf weist der Artikel auch hin, sind andere Gerichte nicht an die Ausführungen des LG gebunden. Insbesondere wenn die Parole in Bezug auf die Taten der Hamas am 7. Oktober 2023 angewandt wird, wird von einer Straftat ausgegangen.

Der Grund liegt darin begründet, dass die Richter der allgemeinen Auffassung des deutschen Staates folgen, dass die Hamas eine „Terrororganisation“ ist und es nicht wagen, diesen Status zu hinterfragen.

Was störend an diesen ganzen Diskussionen über Strafbarkeit von Aussagen ist, sollte zu denken geben. Denn es gibt sehr große Mengen von Postings in sozialen Medien, welche direkt und indirekt einen Völkermord an Palästinensern befürworten, ohne dass dies m.W. zu einer ähnlichen Strafverfolgung geführt hätte.