Länder kennen nur Interessen (16.11.2025)

Es ist nichts Persönliches, nur Geschäft, wenn Länder Diplomatie spielen. Gerade zu beobachten in der Behandlung der Jemen-Frage im Sicherheitsrat.

Am 14. November 2025 wurde im UN-Sicherheitsrat eine Verlängerung der Sanktionen 2140 gegen die seit 2016 unter der Führung von Ansarallah, im Westen „die Huthis“ genannte Regierung verhängt wurden, beschlossen. Dabei hatten sich Russland und China zwar der Stimme enthalten, aber kein Veto eingelegt. Damit wird nach wie vor die Marionettenregierung in einem Hotel in Saudi-Arabien, dann in der Hafenstadt Aden als „offizielle Regierung“ anerkannt, und die Anerkennung der Revolution von 2016 verweigert. Die Verlängerung der Sanktionen gilt bis zum 14. November 2026. Die Abstimmung endete mit 13 Stimmen dafür und 2 Enthaltungen.

Warum haben Russland und China kein Veto eingelegt? Beide Länder, so hieß es, unterstützten die grundsätzliche Verlängerung der Sanktionen, lehnten aber bestimmte Aspekte der Resolution ab, wollten sie aber nicht blockieren. China kritisierte insbesondere die Aufnahme von Maritimen Interdiktionsmaßnahmen als willkürlich und argumentierte, dass diese die Freiheit der Meere beeinträchtige. Russland bezeichnete den Text der Resolution als unausgewogen, einseitig und hochgradig politisiert durch westliche Mitgliedstaaten. Sie hielten es für inakzeptabel, die Sanktionen für enge politische Zwecke zu missbrauchen, und betonten die Notwendigkeit einer Beteiligung regionaler Partner wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Iran und Oman, aber legten auch kein Veto ein.

Die von China kritisierten „Interdiktionsmaßnahmen“ (englisch: interdiction measures) umfassen die Inspektion und mögliche Beschlagnahme von Schiffen auf hoher See oder in jemenitischen Gewässern, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass diese Schiffe sanktionierte Güter transportieren. Das schließt das Stoppen, Durchsuchen und ggf. Umleiten oder Konfiszieren von Ladungen ein. Sie dienen der Durchsetzung des gezielten Waffenembargos, das in Resolution 2216 (von 2015) festgelegt wurde und speziell die Huthis und verbündete Gruppen betrifft. 

Warum wird die „Regierung der Nationalen Einheit“ nicht anerkannt, und die Sanktionen aufgehoben?

Russlands Gründe

Tatsache ist, dass der „anerkannte Präsident“ und seine „Regierung“ in Aden eindeutig Marionetten der saudischen Regierung sind. Und Russland hat besondere Beziehungen zu Saudi-Arabien als Partner in der Ölförderung. Während China eine besondere Beziehung zu Saudi-Arabien als Ölkunde unterhält. Russland pflege eine „strategische Non-Alignment“-Politik im Jemen, die Beziehungen zu allen Parteien (Ansarallah bzw. Huthis, IRG, Saudi-Arabien, UAE) ermöglicht. Dies diene Interessen im Golf von Aden (z. B. Schifffahrtsrouten) und als Hebel gegen den Westen. So lautet die diplomatische Begründung. Wichtiger dürfte aber sein, dass eine Anerkennung der AnsarAllah Allianzen mit Saudi-Arabien und den UAE belasten, die für Russland in OPEC+ (Ölpreisstabilisierung) und im Nahen Osten entscheidend sind. Im Atlantic Council ist man der Meinung, dass Russland als enger Partner des Iran (der einzige Ansarallah-Unterstützer) die jemenitische Frage als „Bargaining Chip“ verwendet, ohne sie voll zu legitimieren, um Einfluss zu behalten – z. B. durch Enthaltungen bei UN-Sanktionen statt Vetos. Darüber hinaus wird vermutet, dass Russland keine Präzedenz für revolutionäre Machtübernahmen setzen will, die Separatismus in eigenen Regionen (z. B. Kaukasus) ermutigen könnten. Damit zeigt Russland, dass die antikoloniale Politik der Sowjetunion immer stärker verblasst, und zwar zugunsten realpolitischen eigenen geopolitischen Interessen.

Chinas Position

China ist stark abhängig von saudischem Öl (größter Importeur) und hat massive Investitionen in Saudi-Arabien (z. B. Belt and Road Initiative). Eine Anerkennung der Huthis würde diese Beziehungen gefährden, da Saudi-Arabien den Konflikt als Proxy-Krieg gegen den Iran sah, und möglicherweise immer noch sieht. Die wirtschaftliche Beziehung und große Ölimporte sind zwar fakt, aber m.E. nicht entscheidend. China hat den Saudi-Iran-Deal 2023 vermittelt, was zu Deeskalation in Jemen führte, aber ohne die neue Regierung anzuerkennen. Eine nun einseitigere Haltung würde die Nichteinmischungspolitik und den diplomatischen Einfluss gefährden, das dürfte das größte Gewicht in der Entscheidung gehabt haben. Chinas Außenpolitik betont Nichteinmischung; es kritisiert Jemens-Angriffe nicht öffentlich (trotz Beeinträchtigung eigener Schiffe), um Einfluss auf den Iran zu behalten, ohne Saudi-Arabien aber durch eine Anerkennung zu verärgern. China sieht wohl seine Einflussmöglichkeit über die extrem selbstbewusste und auf Souveränität achtende neue Regierung  als begrenzt an und bevorzugt einen Status-Quo, der Stabilität für den Handel sicherstellt. Allerdings wäre natürlich eine noch bessere Stabilität gegeben, wenn der Krieg beendet, und die Regierung anerkannt werden würde. So dass man gespannt sein darf, was sich in den nächsten 12 Monaten enwickeln wird.

Jemens Reaktion

Die jemenitische Regierung der Nationalen Einheit unter Führung der Ansarallah zeigt sich unbeeindruckt von den Sanktionen.

„Wir werden gegen jeden, der die Interessen des jemenitischen Volkes untergräbt oder dessen Souveränität und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt, mit gleicher Münze zurückzahlen. Wir werden nicht nachlassen, unsere Rechte zu schützen, unsere Religion und die Würde unseres Volkes mit allen legitimen Mitteln zu verteidigen. Der Sicherheitsrat setzt weiterhin ein erschreckendes Beispiel für Doppelmoral, indem er jahrelang die Völkermordverbrechen im Gazastreifen ignoriert hat.  Der internationale Sicherheitsrat hat sich zu einer Plattform für westliche Interessen entwickelt.“

Was als Zeichen ungebrochenen revolutionären Geistes angesehen werden kann. Die neue Regierung kontrolliert ca. 70-80% der jemenitischen Bevölkerung. Wobei riesige Wüstengegenden von dem IS und al Kaida beherrscht werden, die immer mal wieder die Ansarallah als einzigen ernsthaften Gegner angreifen.

Allerdings hatte es schon in der Vergangenheit immer mal wieder Teilung in einen nördlichen und einen südwestlichen Jemen und wieder Verschmelzung gegeben. Daher ist nicht ungewöhnlich, dass sich die Kontrolle der Hauptstadt auf den Norden beschränkt. Das entspricht etwas weniger als 30 Millionen Einwohner.

Der Jemen gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, verfügt aber über kritische Bodenschätze und eine unglaublich widerstandsfähige Bevölkerung. Hinsichtlich der revolutionären Gesinnung erinnert mich der Jemen an den Iran von 1979. Damals hatte der Iran etwa 38,4 Millionen Einwohner. Und das Land lebt seit der Revolution in diesem Jahr unter verheerenden Sanktionen. Trotzdem hat es sich in einer Weise entwickelt, was Analysten noch vor 10 Jahre für unmöglich gehalten hatten. Ich sehe den Jemen in einer ähnlichen Situation wie den Iran im Jahr 1979.

Wer sich für die Geschichte des revolutionären Jemen interessiert, für den könnte ein Buch interessant sein, welches die Entwicklung der Revolution aus einer antikolonialen Perspektive beschreibt.

Erstveröffentlichung: https://tkp.at/2025/11/16/laender-kennen-nur-interessen/